Leitsatz
Wird ohne Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements direkt eine krankheitsbedingte Kündigung ausgesprochen, ist sie nicht formell unwirksam, kann aber unverhältnismäßig sein.
Sachverhalt
Ein Arbeitnehmer, der mit einem Grad der Behinderung von 30 einem Schwerbehinderten nicht gleichgestellt ist, arbeitet seit 1981 bei dem Arbeitgeber. Seit März 2002 war er wegen eines Rückenleidens ständig arbeitsunfähig krank. Daraufhin sprach der Arbeitgeber nach Anhörung des Betriebsrats im Oktober 2004 eine fristgemäße krankheitsbedingte Kündigung aus. Dagegen erhob der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage. Er berief sich darauf, dass er bei leidensgerechter Ausgestaltung seines Arbeitsplatzes weiter als Maschinenbediener hätte eingesetzt werden können. Auch wäre die Versetzung auf einen anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz möglich gewesen. Diese Möglichkeit hätte der Arbeitgeber mit ihm und der zuständigen Interessenvertretung im Rahmen eines BEM-Verfahrens erörtern müssen. Das Unterlassen führe zur Unwirksamkeit der Kündigung.
Grundsätzlich muss der Arbeitgeber, wenn ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt ist, nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX unter Beteiligung des betroffenen Arbeitnehmers und der Interessenvertretung klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (sog. BEM). Das BAG hat jetzt jedoch entschieden, dass die Nichtdurchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements für sich keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung ist.
Hinweis
Die Arbeitsgerichte überprüfen die Rechtmäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung, also einem Unterfall der personenbedingten Kündigung, in zwei Schritten:
- Liegen generell die Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung vor? (formell z. B. Betriebsratsanhörung; materiell der Kündigungsgrund, d. h. Befürchtung von weiteren Erkrankungen und erheblicher Beeinträchtigung betrieblicher Interessen)
- War der Ausspruch einer Kündigung im konkreten Einzelfall verhältnismäßig? Die Nichtdurchführung eines BEM wirkt sich nach der aktuellen BAG-Entscheidung nur hier auf der 2. Prüfungsstufe im Rahmen der Verhältnismäßigkeit aus, nicht dagegen schon auf der 1. Stufe.
Unterbleibt ein BEM, hat dies insbesondere auch prozessrechtlich für den Arbeitgeber negative Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen der Prüfung des Kündigungsgrundes, speziell der "Beeinträchtigung betrieblicher Interessen". Der Arbeitgeber kann sich dann nicht pauschal darauf berufen, ein leidensgerechter Arbeitsplatz stehe nicht zur Verfügung, sondern er muss dies ganz konkret vortragen und beweisen.
Link zur Entscheidung
BAG, Urteil v. 12.7.2007, 2 AZR 716/06.