Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Normenkette
§ 44 Abs. 3 WEG, § 717 Abs. 2 ZPO, § 945 ZPO, § 255 BGB
Kommentar
1. Erweist sich die in einem so genannten echten Streitverfahren in Wohnungseigentumssachen getroffene (sofort vollstreckbare) einstweilige Anordnung ( § 44 Abs. 3 WEG) als von Anfang an ungerechtfertigt, kann der Beteiligte, der die Anordnung erwirkt hat, in entsprechender Anwendung des § 945 ZPO zum Schadenersatz verpflichtet sein.
§ 945 ZPO beruht (wie auch § 717 Abs. 2 ZPO) auf dem allgemeinen Rechtsgedanken, dass die Vollstreckung aus einem noch nicht endgültigen Vollstreckungstitel auf Gefahr des Gläubigers geht (vgl. schon BGH vom 22. 3. 1990, NJW 1990, 2689, 2690 m.w.N.). Die Interessenlage im WE-Verfahren ist die Gleiche wie im Zivilprozess. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass einstweilige Anordnungen im Wohnungseigentumsrecht auch ohne entsprechenden Antrag von Amts wegen ergehen können. Für die Aufbürdung der Schadenersatzpflicht nach § 945 ZPO verbleibt es auch hier bei der Freiheit des Gläubigers, sich mit Risiko für oder ohne Risiko gegen die vorläufige Durchsetzung seiner Rechtsposition zu entscheiden, also bereits aus einem nur vorläufigen Titel zu vollstrecken. Ein Bedürfnis für ein folgenloses Recht des ersten Zugriffs auf das Vermögen des Schuldners (hier: auf Wohngeldzahlungen) besteht auch in Wohnungseigentumssachen nicht.
Zahlungspflichten werden im Wohnungseigentumsrecht mit Verbindlichkeitswirkung erst durch entsprechende Beschlüsse der Eigentümer begründet. Vor einer Beschlussfassung über einen Wirtschaftsplan oder eine Abrechnung fehlt einer Leistung nicht nur die Fälligkeit, sondern es besteht noch keine voll wirksame Forderung (im vorliegenden Fall bestand noch kein wirksamer Eigentümerbeschluss zu einem Wirtschaftsplan).
Musste ein Schuldner für Aufbringung der titulierten Forderung Überziehungskredit in Anspruch nehmen, ist der damit verbundene Zinsaufwand durch Vollzug einer einstweiligen Anordnung als Vermögensschaden verursacht.
2. In der BGH-Entscheidung geht es dann in den Gründen auch im Einzelnen um die weiteren Fragen des Schadens eines Wohnungseigentümers, der aufgrund einer von Anfang an ungerechtfertigten einstweiligen Anordnung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung Wohngeldvorschüsse an die Wohnungseigentümergemeinschaft geleistet hat. Behandelt werden Grundsätze der Vorteilsausgleichung, des § 255 BGBund das Bereicherungsrecht, gleichzeitig die Frage rechtsmissbräuchlicher Schadenersatzforderung, soweit - wie im vorliegenden Fall behauptet - der Schuldner gerade entsprechende Beschlussfassungen über einen Wirtschaftsplan treuwidrig verhindert haben sollte. Eine Schadenersatzpflicht eines Gläubigers nach § 945 ZPO ist nicht bereits an die Erwirkung des vorläufigen Titels, sondern an dessen Vollziehung geknüpft. Eine etwaige Obliegenheit eines Schuldners zur Abwendung unnötiger Vollstreckungskosten durch freiwillige Leistung oder Sicherheitsleistung kann erst ab dem Zeitpunkt angenommen werden, zu dem der Gläubiger sich dem Schuldner erkennbar für die Vollstreckung eines vorläufigen Titels entschieden hat.
Um diese Sachfragen abschließend zu klären, wurde die Streitsache an das Berufungsgericht zum Zweck weiterer Aufklärung zurückverwiesen.
Link zur Entscheidung
( BGH, Urteil vom 20.11.1992, V ZR 279/91)
zu Gruppe 7: Gerichtliches Verfahren
Anmerkung:
Vergleiche hierzu bereits meine kritische Anmerkung zur Entscheidung des KG Berlin, Entscheidung v. 11. 2. 1991, Az.: 24 W 7307/90. Im Rahmen einer zugelassenen Revision in anderer Sache hat der BGH nunmehr die vorstehende, lehrreiche Revisionsentscheidung getroffen und die klägerische Revision als teilweise begründet erachtet.