1 Leitsatz

Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann einen Wohnungseigentümer ermächtigen, einen aus dem gemeinschaftlichen Eigentum folgenden Anspruch auf Beseitigung oder Unterlassung einer Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums nach den Grundsätzen der gewillkürten Prozessstandschaft geltend zu machen.

2 Normenkette

§§ 9a Abs. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1, 18, 20 Abs. 1 WEG

3 Das Problem

Wohnungseigentümer K klagt gegen Wohnungseigentümer B auf Rückbau einer unzulässigen baulichen Veränderung. Da K womöglich nicht prozessführungsbefugt ist, ermächtigen die Wohnungseigentümer ihn in Bezug auf die Entstörung des gemeinschaftlichen Eigentums durch Beschluss. Fraglich ist, ob Wohnungseigentümer eine solche Ermächtigung überhaupt beschließen können.

4 Die Entscheidung

Das LG bejaht die Frage! § 9a Abs. 2 WEG stehe einer Ermächtigung nicht entgegen. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sei vielmehr berechtigt, einen Wohnungseigentümer zu ermächtigen, einen aus dem gemeinschaftlichen Eigentum folgenden Anspruch auf Beseitigung oder Unterlassung einer Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums geltend zu machen (Hinweis u. a. auf Bärmann/Dötsch § 20 Rn. 297 und Rn. 407 und BeckOK WEG/Elzer). Einer Ansicht, das Gesetz lehne eine Ermächtigung ab, und dem "streitlustigen" Wohnungseigentümer bliebe nur die Wahl, im Wege der Beschlussersetzungsklage die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu zwingen, gegen den angeblich gegen Binnenrecht verstoßenden Eigentümer vorzugehen, könnte nicht gefolgt werden. Zur Vermeidung weiterer gerichtlicher Auseinandersetzungen zwischen den Wohnungseigentümern und der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sei es auch aus Gründen der Prozessökonomie zulässig, die Ansprüche auf einzelne Wohnungseigentümer zu übertragen (Hinweis u. a. auf Häublein, ZWE 2020, S. 401, 407). Wenn die Mehrheit der Wohnungseigentümer kein Interesse an der Durchsetzung von Unterlassung- und Beseitigungsansprüchen habe, komme daher eine Übertragung auf einzelne Wohnungseigentümer in Betracht. Dass im Rechtsstreit des Prozessstandschafters ergangene Urteil wirke dann für und gegen den Rechtsinhaber.

5 Hinweis

Problemüberblick

Der Fall behandelt die Frage, ob es möglich ist, einen Wohnungseigentümer in Bezug auf Ansprüche zu ermächtigen, welche die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer als Prozessstandschafterin nach §§ 9a Abs. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG eigentlich selbst durchsetzen müsste. Das LG bejaht diese Frage mit der h. M. Für diese Sichtweise spricht ihre Praktikabilität. Wie vom LG ausgeführt, müsste ein Wohnungseigentümer, der gegen eine Störung vorgehen will, ansonsten eine Beschlussersetzungsklage erheben. Wenn aber die Mehrheit der Wohnungseigentümer kein Interesse hat, auf eigene Kosten und eigenes Risiko einen etwaigen Störer gerichtlich in Anspruch zu nehmen, spricht letztlich nichts dagegen, dies einen Wohnungseigentümer machen zu lassen, der dazu bereit ist.

Stimmrecht

Der klagende Wohnungseigentümer hatte nicht nur die fehlende Beschlusskompetenz ins Feld geführt, sondern auch argumentiert, es sei nicht rechtmäßig gewesen, ihn von der Abstimmung über die Ermächtigung des K auszuschließen. Dies sah das LG anders. Der Anwendungsbereich des § 25 Abs. 4 Fall 2 WEG sei eröffnet gewesen. Danach sei ein Wohnungseigentümer nicht stimmberechtigt, wenn die Beschlussfassung die Einleitung eines Rechtsstreits gegen ihn betreffe. Gemeint sei ein Rechtsstreit der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer oder – in Ausnahmefällen – der anderen Wohnungseigentümer.

Was ist für die Verwaltung besonders wichtig?

Eine Verwaltung muss wissen, wie sie auf das Verlangen eines Wohnungseigentümers reagieren kann, wenn dieser will, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gegen einen unzulässigen Gebrauch oder unzulässige bauliche Veränderung vorgehen soll. Die Entscheidung schafft hier für die Verwaltung einen Handlungsspielraum, in dem sie eine Ermächtigung ins Spiel bringt. Zeigt sich in der Diskussion in der Versammlung, dass eine Mehrheit der Wohnungseigentümer entweder eine Störung nicht erkennen oder hinnehmen will, kann der Wohnungseigentümer, der dies anders sieht, immer noch ermächtigt werden, auf eigene Kosten und eigenes Risiko diesen Streit vor Gericht auszufechten.

6 Entscheidung

LG Frankfurt a. M., Urteil v. 30.3.2023, 2-13 S 14/22

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