1 Leitsatz
Alle Wohnungseigentümer sind, sofern und soweit von dem Grundstück und von dem darauf errichteten Gebäude Beeinträchtigungen und/oder Gefährdungen des Grundstücks und Gebäudes des klagenden Nachbarn ausgehen, als Handlungs- und zugleich als Zustandsstörer einzuordnen und können daher verklagt werden.
2 Normenkette
§ 9a Abs. 2 WEG
3 Das Problem
K ist Eigentümer des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks (Haus 1). Auf einem Grundstück (Haus 2) wird im Jahr 2016 mit der Errichtung eines an das Gebäude des K unmittelbar anschließenden Mehrparteienhauses begonnen. Das Haus 2 überragt das Haus 1 um ca. 0,8 m. Da K meint, bei der Errichtung des Hauses 2 seien Fehler gemacht worden, die sich negativ auf das Haus 1 auswirken würden, leitet K ein selbstständiges Beweisverfahren gegen die Wohnungseigentümer ein. In der Folge klagt K gegen die Wohnungseigentümer B1 bis B4 als Störer auf Unterlassung. Fraglich ist unter anderem, ob die Wohnungseigentümer überhaupt die richtigen Beklagten sind.
4 Die Entscheidung
Das LG bejaht die Frage! Es meint, die Klage könne gegen die Wohnungseigentümer gerichtet werden. Die Wohnungseigentümer seien Miteigentümer des Hauses 2. Als solche seien sie, sofern und soweit von dem Grundstück und von dem darauf errichteten Gebäude Beeinträchtigungen und/oder Gefährdungen des Grundstücks und Gebäudes des K ausgingen, als Handlungs- und zugleich als Zustandsstörer im Sinne des § 1004 BGB einzuordnen. Unabhängig davon hafteten die Beklagten auch als – mittelbare – Handlungsstörer. Der Auffassung, allenfalls Wohnungseigentümer X komme als Handlungsstörer in Betracht, weil nur er mit dem Bauunternehmen den Vertrag über Errichtung des Gebäudes auf ihrem Grundstück geschlossen habe, könne ebenfalls nicht gefolgt werden. Die Beklagten seien schon vor Baubeginn Miteigentümer des Grundstücks gewesen. Die Aufteilung in Wohnungseigentum sei, wie sich aus den eingereichten Grundbuchauszügen ergebe, im Jahre 2014 und somit vor Beginn der Errichtung des Gebäudes erfolgt. Danach ergebe sich, dass die Bebauung des Grundstücks mit dem Gebäude von vorherein von allen 4 Beklagten gewollt gewesen sei.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es um die Frage, wer eine Pflicht wahrzunehmen hat: Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer oder die Wohnungseigentümer.
Nach § 9a Abs. 2 WEG übt die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte sowie solche Rechte der Wohnungseigentümer aus, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern, und nimmt die entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahr. Gehen vom gemeinschaftlichen Eigentum Gefahren aus, handelt es sich daher um eine Pflicht der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Die Wohnungseigentümer haften als Eigentümer nicht daneben. Das LG liegt also leider falsch.
Was ist für die Verwaltungen besonders wichtig?
Eine Verwaltung muss wissen, wann sie namens der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und als deren Organ nach § 9a Abs. 2 WEG zu einem Tun aufgerufen ist.
6 Entscheidung
LG Hamburg, Urteil v. 16.6.2023, 325 O 159/21