Das Wichtigste in Kürze:

1. Für OWi in Straßenverkehrssachen bestehen Zweifel an der Effizienz des Zwischenverfahrens, dessen Potenzial regelmäßig auch von der Verteidigung nicht ausgeschöpft wird.
2. Der zulässige Einspruch aktualisiert die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nochmals zu prüfen und erneut zu würdigen.
3. Bei drohender Verfolgungsverjährung soll die Verwaltungsbehörde jedoch nach zweifelhafter Ansicht nicht mehr zur Durchführung ergänzender Ermittlungen und Beweiserhebungen verpflichtet sein.
4. Erweist sich der Tatvorwurf aufgrund der weiteren Sachverhaltsaufklärung entkräftet oder eine Ahndung nicht mehr geboten, ist die Verwaltungsbehörde zur Rücknahme des Bußgeldbescheids verpflichtet, die sie häufig mit der Einstellung des Verfahrens verbinden wird.
5. Anstelle einer Einstellung kommen der Erlass eines neuen geänderten Bußgeldbescheids, die Abgabe an eine andere Verwaltungsbehörde oder bei Anhaltspunkten für eine Straftat an die StA in Betracht.
6. Nimmt die Verwaltungsbehörde den Bußgeldbescheid nicht zurück, übersendet sie die Akten über die StA an das AG und vermerkt die Gründe dafür in den Akten.
7. Mit Eingang der Akten bei der StA wird diese zwar Herrin des Verfahrens, jedoch ist sie weder zur Zurücknahme des Bußgeldbescheids noch zur Zurückweisung nach § 69 Abs. 5 S. 1 an die Verwaltungsbehörde wegen offensichtlich ungenügender Aufklärung des Sachverhalts berechtigt.
8. Vor allem bei offensichtlich ungenügender Aufklärung des Sachverhalts kann das AG die Sache nach § 69 Abs. 5 S. 1 Hs. 1 mit Zustimmung der StA förmlich an die Verwaltungsbehörde zurückgeben.
 

Rdn 4332

 

Literaturhinweise:

Bohnert, Neuregelungen im Zwischenverfahren des OWiG, NZV 1999, 322

ders., Wiederholte Aktenabgabe im Zwischenverfahren nach § 69 IV, V OWiG, NZV 1995, 140

Helmken, Reformüberlegungen zur Mitwirkung der Staatsanwaltschaft im Ordnungswidrigkeitsverfahren, NZV 1997, 289

Katholnigg, Das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze, NJW 1998, 568

Klesczewski, Zur Einschränkung der Beteiligung der Staatsanwaltschaft am Zwischenverfahren in Bußgeldsachen, NZV 2021, 72

Würzberg, Zur Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, nach Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid die Beschuldigung zu überprüfen, DAR 1972, 325.

 

Rdn 4333

1. Nach zulässigem Einspruch (vgl. § 69 Abs. 1; → Einspruch, Unzulässigkeit, Verwerfung, Rdn 989) überprüft die Verwaltungsbehörde nach § 69 Abs. 2 S. 1, ob sie den Bußgeldbescheid aufrechterhält oder aber zurücknimmt, womit zugleich der eigentliche Eintritt in das Zwischenverfahren (§ 69) markiert wird. Für den Betroffenen gilt weiterhin uneingeschränkt die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK. Regelungszweck des dreistufigen Zwischenverfahrens ist die Entlastung der StA ohne zusätzliche Belastung des AG (BeckOK OWiG/Gertler, § 69 Rn 2; krit. Bohnert NZV 1999, 322, 323). Jedenfalls für die hier behandelten OWi in Straßenverkehrssachen sind freilich Zweifel an der Effizienz des Zwischenverfahrens und seiner legislatorischen Zielsetzung erlaubt, dessen Potenzial allerdings regelmäßig auch vonseiten der Verteidigung nicht hinreichend ausgeschöpft wird.

 

Rdn 4334

2. Der zulässige Einspruch aktualisiert die rechtliche Verpflichtung der Verwaltungsbehörde (BeckOK OWiG/Gertler, § 69 Rn 9; Krenberger/Krumm, § 69 Rn 6), den Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nochmals zu prüfen und erneut zu würdigen, was durch die Kann-Vorschriften des § 69 Abs. 2 S. 2 und S. 3 zum Ausdruck gebracht ist und nicht mit einem echten Verwaltungsermessen verwechselt werden darf (Göhler/Seitz/Bauer, § 69 Rn 12). Ist der Sachverhalt noch nicht hinreichend aufklärt, hat die Verwaltungsbehörde demgemäß weitere Ermittlungen zu tätigen (Göhler/Seitz/Bauer, § 69 Rn 12; Krenberger/Krumm, § 69 Rn 13 f.).

 

☆ Es leuchtet ein, dass die Verteidigung bereits jetzt gefordert ist und sich nicht mit einem schlichten, d.h. unbegründeten Einspruch begnügen sollte. Verspätungsregelungen greifen in diesem Verfahrensstadium nicht ein und insbesondere Beweisanträge (§§ 46 Abs. 1 i.V.m. 163a Abs. 2 StPO) können jederzeit gestellt werden, schon weil die Resultate der nach § 69 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 gewonnenen Erkenntnisse und Beweismaterialien nach § 77a im späteren gerichtlichen Verfahren verwertet werden können (Göhler /Seitz/Bauer , § 69 Rn 12). Das Instrumentarium des Beweisantrags im Vorfeld der HV wird gemeinhin unterschätzt , sodass hier im Ergebnis – angesichts einer fehlenden zweiten gerichtlichen ( Berufungs- )Tatsacheninstanz – eine Verfahrensetappe oftmals kampflos preisgegeben wird.Verteidigung bereits jetzt gefordert ist und sich nicht mit einem schlichten, d.h. unbegründeten Einspruch begnügen sollte. Verspätungsregelungen greifen in diesem Verfahrensstadium nicht ein und insbesondere Beweisanträge (§§ 46 Abs. 1 i.V.m. 163a Abs. 2 StPO) können jederzeit gestellt werden, schon weil die Resultate der nach § 69 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 ...

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