Detlef Burhoff, Annika Hirsch
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Grds. sind nach dem aus § 250 folgenden Unmittelbarkeitsgrundsatz Zeugen und SV in der HV persönlich zu hören. |
2. |
Das Gericht kann nach § 223 bei Krankheit, Gebrechlichkeit oder anderen nicht zu beseitigenden Hindernissen von längerer oder ungewisser Dauer bzw. bei Unzumutbarkeit des Erscheinens wegen großer Entfernung die Vernehmung des Zeugen oder SV durch einen beauftragten oder ersuchten Richter anordnen. |
3. |
Für das Verfahren bei einer kommissarischen Vernehmung gelten die allgemeinen Regeln. |
4. |
In Betracht kommt auch eine kommissarische Vernehmung im Ausland. |
5. |
Die Entscheidung, ob ggf. die kommissarische Vernehmung eines Zeugen oder SV beantragt wird, ist davon abhängig, welche Bedeutung der Zeuge oder SV aus Sicht des Verteidigers für das Verfahren hat. |
Rdn 4201
Literaturhinweise:
Foth, Wie sind die Beobachtungen des beauftragten Richters zur Glaubwürdigkeit des kommissarisch vernommenen Zeugen in die Hauptverhandlung einzuführen?, MDR 1983, 716
Gleß/Eymann, "Nachträgliches Verwertungsverbot" und internationale Beweisrechtshilfe, StV 2008, 318
Nagler, Verteidigung gegen im Ausland gewonnene Ermittlungsergebnisse, StV 2013, 324
Öhmichen/Schneider/v. Wistinghausen, Verteidigung mit und gegen Beweise aus dem Ausland, StraFo 2015, 230
Schlothauer, Neuregelung der Pflichtverteidigung: effektiver und praxistauglicher!?, StV 2017, 557
Schomburg, Internationale vertragliche Rechtshilfe in Strafsachen, NJW 1998, 1044
von Ungern-Sternberg, Zur Frage des Anwesenheitsrechts des Beschuldigten und Verteidigers bei der Zeugenvernehmung durch ausländische Gerichte vor der Hauptverhandlung, ZStW 1975, 925 (Band 87)
s.a. die Hinw. bei → Verwertung der Erkenntnisse eines (gesperrten) V-Mannes, Teil V Rdn 3966, und bei → Videovernehmung in der Hauptverhandlung, Teil V Rdn 4000.
Rdn 4202
1. Grds. sind nach dem aus § 250 folgenden → Unmittelbarkeitsgrundsatz, Teil U Rdn 3207, Zeugen – und SV – in der HV persönlich zu hören. Es kann sich jedoch schon vor der HV oder auch noch in der HV abzeichnen, dass ein Zeuge (oder SV) wegen Krankheit, Urlaub oder aus sonstigen Gründen nicht für die HV zur Verfügung stehen wird oder steht. In diesen Fällen kommt ggf. nach § 223 eine kommissarische Vernehmung in Betracht. Dafür muss der Verteidiger allgemein Folgendes beachten (zu den Besonderheiten bei der in der Praxis häufigen Vernehmung einer V-Person → Verwertung der Erkenntnisse eines [gesperrten] V-Mannes, Teil V Rdn 3966; → V-Mann in der Hauptverhandlung, Teil V Rdn 4030):
☆ Die nachstehenden Ausführungen gelten für Zeugen und SV entsprechend (zur Vernehmung des SV → Vernehmung Sachverständiger , Teil V Rdn 3819 ).Zeugen und SV entsprechend (zur Vernehmung des SV → Vernehmung Sachverständiger, Teil V Rdn 3819).
Rdn 4203
2. Das Gericht kann nach § 223 bei Krankheit, Gebrechlichkeit oder anderen nicht zu beseitigenden Hindernissen von längerer oder ungewisser Dauer (Abs. 1) bzw. bei Unzumutbarkeit des Erscheinens wegen großer Entfernung (Abs. 2) die Vernehmung des Zeugen oder SV durch einen beauftragten oder ersuchten Richter anordnen. Will es einen Beweisantrag wegen Unerreichbarkeit eines Zeugen ablehnen, muss es prüfen, ob eine kommissarische Vernehmung möglich und sinnvoll ist (zuletzt BGH, Beschl. v. 7.5.2014 – 2 StR 506/13, NStZ 2015, 103, → Beweisantrag, Ablehnungsgründe, Teil B Rdn 1080).
Rdn 4204
Besondere Bedeutung kann die Vorschrift in der Praxis erlangen, wenn es um die Vernehmung von V-Leuten geht. Die Rspr. des BGH hat nämlich in der Vergangenheit anerkannt, dass deren Vernehmung ein nicht zu beseitigendes Hindernis i.S.d. § 223 entgegensteht, wenn diese für eine Vernehmung in der HV endgültig gesperrt sind (BGHSt 31, 115; allgemein zur Vernehmung von V-Leuten KK/Gmel, § 223 Rn 9; → Verwertung der Erkenntnisse eines [gesperrten] V-Mannes, Teil V Rdn 3966 [dort auch zur Frage, inwieweit die Vorschrift nach Einführung der §§ 58a, 247a insoweit überhaupt noch anwendbar ist]). Der Verteidiger hat wegen der in der Vorschrift enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe und wegen des dem Gericht eingeräumten Ermessens nur wenig Möglichkeiten, auf das Gericht einzuwirken, um eine bestimmte Entscheidung zu erreichen (Schlothauer, Rn 148). Deshalb soll davon abgesehen werden, hier die Voraussetzungen für eine kommissarische Vernehmung im Einzelnen darzustellen (dazu Meyer-Goßner/Schmitt, § 223 Rn 2 ff.). Mit ihnen muss sich der Verteidiger, wenn er nicht selbst die kommissarische Vernehmung eines Zeugen oder SV beantragen will (s. Teil Z Rdn 4211), i.d.R. auch erst dann beschäftigen, wenn in der HV die Niederschrift einer kommissarischen Vernehmung gem. § 251 Abs. 1 oder 2 verlesen werden soll (→Verlesung von Protokollen, richterliche Vernehmungsprotokolle, Teil V Rdn 3657; → Verlesung von Protokollen, Protokolle und Urkunden aller Art, Teil V Rdn 3626).
Rdn 4205
3. Für das Verfahren bei einer kommissarischen Vernehmung gelten die allgemeinen Regeln; es ist auf Folgendes hinzuweisen:
a) Der Angeklagte und auch...