Grundsätzlich muss das Kind seine Ausbildung in angemessener Zeit aufnehmen. Zwar ist einem jungen Menschen eine gewisse Orientierungsphase zuzugestehen, deren Dauer von Fall zu Fall unterschiedlich ist und sich jeweils nach Alter, Entwicklungsstand und den gesamten Lebensumständen des Auszubildenden richtet (zum Prüfungsversagen des Unterhaltsberechtigten s. BGH NJW 2006, 2984; OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.6.2010 – 10 WF 111/10; vgl. auch KG, Beschl. v. 11.4.2011 – 17 UF 45/11, ZFE 2011, 267). Jedoch muss er sich zügig entscheiden, welche Ausbildung er wählt, denn eine längere Orientierungsphase wird nicht zugestanden (BGH FamRZ 2001, 757: bis zu einem Jahr, wenn die Verzögerung mit Problemen der Eltern zu tun hatte).
Von Bedeutung ist aber auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unterhaltspflichtigen (BGH, Urt. v. 14.3.2001 – XII ZR 81/99, FamRZ 2001, 757), so dass sich das Gebot der Rücksichtnahme auf deren wirtschaftliche Belange auch auf den zumutbaren Zeitpunkt der Aufnahme der Ausbildung auswirken kann.
Es gibt keine feste Altersgrenze für die Aufnahme einer Ausbildung, ab deren Erreichen der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt entfällt (OLG Stuttgart FamRZ 1996, 181). Allerdings haben sowohl der zeitliche Abstand zum Schulabschluss als auch die erreichte Eigenständigkeit der Lebensstellung des Kindes Bedeutung. Verstärkt tritt an die Stelle der Elternverantwortung die Eigenverantwortung für seinen Berufs- und Lebensweg. Eine lange Verzögerung kann selbst bei noch fehlender Berufsausbildung zum Wegfall des Ausbildungsanspruchs führen. Das volljährige Kind muss dann seinen Lebensunterhalt mit ungelernten Tätigkeiten oder aufgrund sonstiger Begabung und Fertigkeiten verdienen.
§ 1610 Abs. 2 BGB mutet den Eltern nicht zu, sich ggf. nach Ablauf mehrerer Jahre, in denen sie nach den schulischen Ergebnissen und dem bisherigen Werdegang des Kindes nicht mehr mit der Nachholung der Hochschulreife und der Aufnahme eines Studiums rechnen mussten, einem Ausbildungsanspruch des Kindes ausgesetzt zu sehen. Eine verspätete Aufnahme einer – an sich angemessenen Ausbildung – durch das Kind kann daher einem Unterhaltsanspruch entgegenstehen. Die Umstände des Einzelfalls müssen die Beteiligten detailliert vortragen, um dem Gericht eine Bewertung des Einzelfalls zu ermöglichen.
Hat das Kind einen guten Schulabschluss vorzuweisen, wird man eher verlangen können, nach Ablauf einer gewissen Orientierungszeit (dazu OLG Karlsruhe FamRZ 2012, 1573; OLG Naumburg FamFR 2013, 9; ausführlich Viefhues, in: jurisPK-BGB, 2017, § 1610 Rn 110 ff., 354 ff.) zeitnah eine Ausbildung aufzunehmen. Ist der Schulabschluss schlechter, so sind auch die Chancen auf einen Ausbildungsplatz geringer. Dann ist es dem Kind aber nicht vorzuwerfen, wenn es durch Praktika und andere Berufsvorbereitungsmaßnahmen seine Chancen steigert – die zeitliche Verzögerung ist hinzunehmen (vgl. auch OLG Hamm, Beschl. v. 12.3.2012 – 4 UF 232/11, FuR 2013, 669).
Hinweis:
Zu beachten sind dabei auch die jedem Kind auferlegten Pflichten, auf die Belange der auf Unterhalt in Anspruch genommenen Eltern Rücksicht zu nehmen. Dies folgt aus der allgemeinen unterhaltsrechtlichen Obliegenheit, sich so zu verhalten, dass der unterhaltsrechtliche Gegner nicht unnötig und vermeidbar belastet wird.
So lässt sich aus Sicht des unterhaltsberechtigten Kindes durchaus argumentieren, die Ausbildung und damit die Belastung der Eltern werde nicht größer aufgrund der zeitlichen Verschiebung. Bei einem verspäteten Ausbildungsbeginn ist relevant, ob hierdurch Mehrkosten für den Unterhaltspflichtigen ausgelöst werden oder ob die Verzögerung letztlich "kostenneutral" geblieben ist. Eine Verzögerung der Ausbildung führt nicht zwingend zu höheren Kosten – es sei denn, in der Zwischenzeit sind Studiengebühren eingeführt worden oder bestimmte Kosten haben sich erhöht (was konkret darzulegen wäre). Möglicherweise wird die Ausbildung aber auch insgesamt billiger, weil sich die monatliche Ausbildungsvergütung erhöht hat.
Anders ist die Sachlage aber dann zu bewerten, wenn die Unterhaltsverpflichtung aufgrund der Verzögerungen in Zeiträume fällt, in denen steuerliche Erleichterungen, Kindergeld oder kindbezogene Gehaltsbestandteile wegen des fortgeschrittenen Alters des Kindes nicht mehr genutzt werden können (BGH FamRZ 2011, 1560 m. Anm. Norpoth = NJW 2011, 2884 m. Anm. Born; Anm. Viefhues FF 2011, 412). Von Bedeutung ist aber auch die Frage, wer das Kind in der Zwischenzeit bis zum Beginn dieser Ausbildung unterhalten hat (BGH, Beschl. v. 8.3.2017 – XII ZB 192/16).
Der BGH betont auch den Vertrauensschutz der Eltern (BGH FamRZ 2011, 1560 m. Anm. Norpoth = NJW 2011, 2884 m. Anm. Born; Anm. Viefhues FF 2011, 412). Denn § 1610 Abs. 2 BGB verlangt von den Eltern nicht, sich ggf. nach Ablauf mehrerer Jahre, in denen sie nach den schulischen Ergebnissen und dem bisherigen Werdegang des Kindes nicht mehr mit der Nachholung etwa der Hochschulreife und der Aufnahme eines Studiums rechnen mussten, einem Aus...