1. Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V
Über die erste Entscheidung des BSG (Urt. v. 8.3.2016 – B 1 KR 25/15 R) zu der zum 26.2.2013 eingeführten Genehmigungsfiktion in § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V haben wir berichtet (Sartorius/Pattar ZAP F. 18, S. 1471, 1483 f.). Der 1. Senat des BSG hat seine Rechtsprechung im Berichtszeitraum fortgeführt und weiterentwickelt (s. hierzu auch Ulmer SGb 2017, 567).
Nach § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme (insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung – MDK) eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Nach Satz 2 der Vorschrift hat die Krankenkasse, wenn sie eine gutachterliche Stellungnahme für erforderlich hält, diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten.
Hinweis:
Die Genehmigungsfiktion tritt nur ein, wenn die Leistungsberechtigten die Leistung für erforderlich halten dürfen und diese nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegt. Die Norm ist für Leistungen der medizinischen Rehabilitation nicht anwendbar, § 13 Abs. 3a S. 9 SGB V (zur Abrenzung zwischen solchen Leistungen nach dem SGB IX und der Hilfsmittelversorgung nach § 33 Abs. 1 SGB V s. LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 12.12.2017 – L 16 KR 334/17, ASR 2018, 66).
In dieser Weise hat das BSG durch Urteil vom 11.7.2017 (B 1 KR 1/17 R) bei einer beantragten Liposuktion (Fettabsaugung) der Klage einer Leistungsberechtigten stattgegeben, deren Antrag gut sechs Wochen nach Antragseingang abgelehnt worden war. Die Klägerin ließ daraufhin die Liposuktion auf eigene Kosten (mehr als 15.000 EUR) in einer Privatklinik vornehmen. Das BSG gab der Klage statt, weil der Leistungsantrag hinreichend bestimmt war, nicht rechtzeitig beschieden worden und die Behandlung subjektiv erforderlich gewesen ist. Mit der Leistungsablehnung war die Klägerin auch nicht mehr an zugelassene Leistungserbringer gebunden.
Mit Urteil vom gleichen Tag (B 1 KR 26/16 R) hat das BSG hinsichtlich der von der dortigen Klägerin zur Reduktion des Körpergewichts beantragten bariatrischen Operation entsprechend entschieden. Es hat hierbei erneut darauf hingewiesen, dass die Fristverlängerung nach § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V von drei auf fünf Wochen einen qualifizierten Hinweis auf die Fristüberschreitung, insbesondere mit der Angabe des nunmehr geltenden Fristendes, verlangt (Rn 29 ff.).
Hinweis:
Zwei weitere, den Klagen stattgebende Entscheidungen sind am 26.9.2017 ergangen (B 1 KR 8/17 R – wiederum eine Liposuktion betreffend – und B 1 KR 6/17 R – beansprucht wurde hier eine Thermotherapie gegen Krampfadern).
Das BSG hat diese Rechtsprechung schließlich durch vier Urteile vom 7.11.2017 fortgesetzt und die geltend gemachten Ansprüche als begründet angesehen:
In zwei Fällen war ein Anspruch auf Abdominalplastiken, also eine Straffung der Bauchhaut nach vorangegangener deutlicher Gewichtsreduktion, streitgegenständlich (B 1 KR 24/17 R und B 1 KR 15/17 R). Ein weiteres Urteil betraf erneut eine beantragte Liposuktion (B 1 KR 7/17 R) und schließlich ging es um die Versorgung mit einer Augmentationsmastopexie, eine Straffung der weiblichen Brust mit Implantateinlage (B 1 KR 2/17 R).
In den Verfahren betreffend die Abdominalplastiken (B 1 KR 24/17 R; B 1 KR 15/17 R) hatten die beklagten Krankenkassen die fingierten Genehmigungen nach § 45 SGB X zurückgenommen. Hiergegen hatten die Kläger Widerspruch eingelegt, der Gegenstand der Berufungsverfahren geworden war. Das BSG hat die Rücknahmen der Entscheidungen der Beklagten aufgehoben. Eine Rücknahme hat nach § 45 SGB X u.a. zur Voraussetzung, dass ein rechtswidriger Verwaltungsakt vorliegt. Daran fehlt es nach Auffassung des BSG, weil Maßstab der Rechtmäßigkeitsprüfung hier lediglich die Voraussetzungen des Anspruchs auf die fingierten Genehmigungen nach § 13 Abs. 3a SGB V sind, die jedoch erfüllt waren.
Hinweis:
Auch der 3. Senat hat zwischenzeitlich zu dem Fragenkomplex entschieden (Urt. v. 11.5.2017 – B 3 KR 30/15 R, hierzu Harich juris PR-SozR 2/2018 Anm. 3) und sich hierbei grundsätzlich der Rechtsprechung des 1. Senats im Urteil vom 8.3.2016 angeschlossen. Allerdings lassen die Entscheidungsgründe erkennen, dass der 3. Senat voraussichtlich der Rechtsprechung des 1. Senats insoweit nicht folgen wird, als sich die Rechtmäßigkeit der Genehmigungsfiktion allein nach der Erfüllung der Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a SGB V bestimmen soll und nicht danach, ob sie mit dem Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung im Einklang steht. Hierbei verweist der 3. Senat auf die gesetzliche Regelung der Genehmigungsfiktion in § 42a VwVfG. In diese Richtung tendiert auch das LSG München (Urt. v. 27.6.2017 – L 5 KR 260/16). Allerdings ist auch dann, wenn man dieser Auffassung folgt, eine Rücknahme nur möglich, wenn die Versicherten sich die Leistung noch nicht beschafft ...