Von besonderer praktischer Bedeutung in Unterhaltsstreitigkeiten ist der Wohnwert eines selbst genutzten eigenen Hauses oder einer eigenen Wohnung. Die folgenden Fragen stellen sich in der familienrechtlichen Praxis:
- Ist die Tatsache des Wohnens in der eigenen Wohnung überhaupt unterhaltsrechtlich beachtlich?
- Wie hoch ist der Wohnwert im Unterhaltsverfahren anzusetzen?
- Sind Belastungen für Haus bzw. Wohnung zu berücksichtigen?
- Wie ist die Situation, wenn der Bedürftige, z.B. Frau und Kinder, in der früheren Ehewohnung verbleibt?
Hinweis:
Dabei geht es um die Fälle, in denen das genutzte Haus oder die Eigentumswohnung im Alleineigentum eines Ehegatten oder im gemeinsamen Eigentum beider Ehegatten steht oder ein dingliches Nutzungsrecht (Nießbrauch) besteht (BGH FamRZ 2010, 1633; Henjes, in: Eschenbruch/Schürmann/Menne, Unterhaltsrecht, 2013, Kap. 4 Rn 270 m.w.N.).
Es kann kein Wohnwert zugerechnet werden, wenn der unentgeltliche Wohnvorteil durch Dritte (z.B. die Eltern oder die neue Partnerin) eingeräumt wird (OLG Hamburg FamRZ 2005, 927; OLG Koblenz FamRZ 2003, 534; OLG München FamRZ 1999, 169) oder der Ehegatte im Eigenheim lebt, an dem seinen Eltern insgesamt ein lebenslanges Nießbrauchsrecht zusteht. Denn dann handelt es sich bei der Wohnungsüberlassung lediglich um eine jederzeit ohne Angabe von Gründen frei widerrufbare freiwillige Leistung Dritter ohne Einkommenscharakter (OLG Koblenz FamRZ 2003, 534).
1. Bedeutung für den Ehegattenunterhalt
Der Bau eines Hauses oder der Kauf einer Eigentumswohnung dient dazu, eine angemessene Wohnung für die gesamte Familie zu gewährleisten und ist zudem eine auf lange Sicht angelegte Maßnahme der Vermögensbildung auf der Basis einer gemeinsamen Lebensplanung der Eheleute. Die Trennung – und der damit verbundene Auszug eines Ehegatten – löst diese gemeinsame Lebensplanung nicht mit sofortiger Wirkung auf.
Deshalb kann nicht verlangt werden, dass die Ehewohnung sofort vermietet oder veräußert wird. Bleibt ein Ehepartner also nach der Trennung noch in der Wohnung und trägt deren Kosten, dann handelt er folglich nicht nur im eigenen Interesse, sondern gerade auch im Interesse der gesamten Familie, um ggf. auch eine Versöhnung und eine Rückkehr der übrigen Familie in die Ehewohnung überhaupt möglich zu machen. Differenziert zu betrachten ist dies in der Phase zwischen der Einleitung der Trennung und der Rechtskraft der Scheidung. Spätestens dann, wenn für beide Parteien feststeht, dass die Ehe aufgelöst werden wird, handelt der in der Wohnung verbleibende Ehegatte dagegen praktisch nicht mehr im Interesse der Gesamtfamilie, sondern im eigenen Interesse.
Hinweis:
Die Zustellung des Scheidungsantrags ist hier regelmäßig der zeitliche Anknüpfungspunkt. Unter besonderen, im gerichtlichen Verfahren darzulegenden Umständen des Einzelfalls kann aber auch ein früherer oder späterer Zeitpunkt in Betracht kommen.
Auf der Basis dieser grundsätzlichen Überlegungen sind die weiteren Fragen des Ausgleichs zwischen den Ehegatten zu beantworten: Der Ehegatte, der in einem den beiden Ehegatten gemeinsam oder dem anderen Ehegatten allein gehörenden Haus wohnt, schuldet dem anderen gem. §§ 741 ff. BGB grundsätzlich ein entsprechendes Nutzungsentgelt. Auch kann eine entsprechende Nutzungsvergütung gem. §§ 1361, 1361b, 1568a BGB durch das Familiengericht festgesetzt werden.
Wenn aber der Wohnvorteil bereits als fiktives Einkommen bei der Unterhaltsberechnung berücksichtigt worden ist, kann der Unterhaltsschuldner keine Nutzungsvergütung für die Wohnungsüberlassung verlangen. Der bei der Unterhaltsberechnung angesetzte Wohnwert beinhaltet dann eine abschließende Regelung über den Nutzungswert der Ehewohnung.
Hier ist in der Praxis besonders darauf zu achten, dass keine Doppelanrechnung des Wohnvorteils erfolgen darf. Haben die Parteien bereits eine Regelung über ein Nutzungsentgelt und ggf. auch einen gesamtschuldnerischen Ausgleich der mit dem Eigentum verbundenen Belastungen getroffen, scheidet eine (zusätzliche) Berücksichtigung im Rahmen des Unterhaltsrechts aus.
Umgekehrt ist ein gesamtschuldnerischer Ausgleich ausgeschlossen, wenn diese Positionen bereits im Rahmen der Unterhaltsregelung Berücksichtigung gefunden haben. Entscheidend ist dabei der zeitliche Ablauf. Die zuerst getroffene Regelung hat also Bestand und schließt ggf. anderweitige Ausgleichsformen aus.
Praxishinweis:
In der anwaltlichen Beratung ist daher durchaus zu überlegen, welche Ausgleichsvariante für den Mandanten vorteilhafter ist.
2. Höhe des Wohnwerts im Unterhaltsverfahren
Hinsichtlich der Höhe der Anrechnung ist zu unterscheiden zwischen dem angemessenen und dem objektiven Wohnwert.
a) Objektiver Wohnwert (Mietwert bei Fremdvermietung)
Der objektive Wohnwert (Mietwert bei Fremdvermietung) bemisst sich nach dem Betrag, der als Miete von einem Dritten auf dem Wohnungsmarkt für die konkrete Wohnung bzw. das konkrete Eigenheim erzielt werden kann. Hierbei kommt es auf die tatsächliche Lage der Immobilie, die genaue Größe, Ausstattung, Zustand und die übrigen mietrelevanten Umstände an, die im gerichtlichen Verfahren konkret dargelegt und – falls sie umstritten sind...