aa) Verstöße
Zum Begriff des anderen Verkehrsteilnehmers im Zusammenhang mit den Sorgfaltspflichten beim Rückwärtsfahren führt der BGH (NJW 2018, 3095 = DAR 2018, 562 = zfs 2018, 674 = VRR 10/2018, 8 [Burhoff] aus: "Anderer Verkehrsteilnehmer" i.S.d. § 9 Abs. 5, § 10 S. 1 StVO ist jede Person, die sich selbst verkehrserheblich verhält, d.h. körperlich und unmittelbar auf den Ablauf eines Verkehrsvorgangs einwirkt. Darunter fällt nicht nur der fließende Durchgangsverkehr auf der Straße, sondern jedenfalls auch derjenige, der auf der anderen Straßenseite vom Fahrbahnrand anfährt. Auf allein dem Ausfahren aus einem Parkhaus dienenden, äußerlich vergleichbaren Fahrbahnen gilt grundsätzlich entsprechend § 8 Abs. 1 StVO "rechts vor links". Beim Verlassen des durch eine Schranke begrenzten Parkbereichs kommt eine Anwendung der besonderen Sorgfaltspflichten nach § 10 StVO in Betracht (KG MDR 2018, 1435 = NZV 2019, 42 [Pletter]). Ein Überholverbot entbindet den Linksabbieger nicht von der Pflicht zur doppelten Rückschau (OLG Düsseldorf DAR 2018, 622 = NZV 2019, 44 [Reimer]). Verursacht ein Fahrzeugführer durch einen Gelblichtverstoß in Verbindung mit einem Überholen eines vor ihm haltenden Fahrzeugs über eine Linksabbiegerspur, um sodann verkehrswidrig geradeaus zu fahren, einen Verkehrsunfall mit einem ihm gegenüber abbiegendem Fahrzeug, hat er allein für die Unfallfolgen einzutreten. Die Betriebsgefahr des ihm entgegenkommenden Fahrzeugs aus dem Abbiegevorgang tritt dahinter in vollem Umfang zurück. Ein schuldhafter Verstoß des abbiegenden Fahrzeugführers gegen § 9 Abs. 3 StVO scheidet dagegen aus, wenn im Gegenverkehr der erste Fahrzeugführer gut erkennbar vor der roten Ampel anhält und nicht mehr mit dem Einfahren anderer Verkehrsteilnehmer in den Kreuzungsbereich zu rechnen ist (LG Essen VRR 1/2019, 15 [Nugel]).
Ein Sicherheitsabstand von 2 m auf das vorausfahrende Fahrzeug ist gerade im außerörtlichen Verkehr, immer unzureichend und macht eine rechtzeitige Reaktion auf Fahrmanöver des Vorausfahrenden unmöglich. Unterschreitet der Auffahrende den gebotenen Sicherheitsabstand in besonders gravierender Weise (hier: 2 m Abstand statt gebotener 10 m), tritt die Betriebsgefahr des vorausfahrenden Fahrzeugs vollständig zurück, selbst wenn ein geringer Verstoß des Vorausfahrenden gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO vorliegen sollte (OLG Hamm zfs 2019, 77 m. Anm. Diehl = NJW-RR 2019, 283).
Es kann der Billigkeit entsprechen, die Betriebsgefahr eines Lkw als nicht erheblich ins Gewicht fallend und gegenüber dem Verursachungsbeitrag des grob leichtfertig handelnden Klägers (hier: Überfahren der Sperrlinie zum Gegenverkehr) am Unfallereignis als zurücktretend zu beurteilen (OLG Jena DAR 2018, 628). Die Betriebsgefahr eines Motorrads ist nicht schon deshalb erhöht, weil dessen Fahrer selbst nicht durch eine ihn umgebende Karosserie geschützt ist (LG Hamburg NZV 2019, 150 [Bachmor]). Ein Straßenbahnführer darf darauf vertrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer § 2 Abs. 3 und § 9 Abs. 3 StVO beachten und Schienen nicht besetzen. Er braucht nicht damit zu rechnen, dass ein vor ihm fahrendes Fahrzeug in den Gleisbereich einbiegt und dort zum Halten kommt, und zwar grundsätzlich auch dann nicht, wenn der andere Fahrer seine Abbiegeabsicht bereits angezeigt hat. Bei der Abwägung der Betriebsgefahr der Straßenbahn gegen das erhebliche Verschulden des Pkw-Führers bei einem Verstoß gegen § 2 Abs. 3 und § 9 Abs. 3 StVO tritt die Betriebsgefahr der Straßenbahn zurück (OLG Hamm NJW-RR 2018, 1427).
bb) Mitverschulden
Ein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum Tragen von Motorradschutzkleidung an den Beinen kann nicht schon aus einem reduzierten Verletzungsrisiko hergeleitet werden. Kann ein dahingehendes Verkehrsbewusstsein den tatsächlichen Umständen und Gepflogenheiten der betroffenen Verkehrsteilnehmer nicht entnommen werden (hier: Fahrer einer Harley Davidson), ist ein Mitverschulden des geschädigten Motorradfahrers nicht feststellbar (LG Frankfurt NJW 2019, 531 = zfs 2019, 81).