Ein zentrales Thema der Zulässigkeitsprüfung ist die Zulässigkeit eines Eilantrags, mit dem die Entscheidung im Hauptsachverfahren vorweggenommen werden soll (OVG Hamburg DVBl. 1987, 316, 317; VGH Kassel NVwZ 1989, 1183, 1184; VGH Mannheim VBlBW 1995, 14 f.; OVG Schleswig NJW 1997, 2536; a.A. OVG Greifswald NVwZ-RR 1994, 334; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, a.a.O., Rn 109 – Frage der Begründetheit).
a) Begriff der Vorwegnahme
Ein Antrag ist auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, wenn das Rechtsschutzziel des Anordnungsverfahrens mit dem des Klageverfahrens übereinstimmt (BVerwGE 63, 110, 111; VGH Kassel a.a.O.). Ob das der Fall ist, lässt sich durch einen Vergleich der in beiden Verfahren gestellten Sachanträge ermitteln (OVG Koblenz AS 20, 11, 12).
Decken sich Anordnungs- und Klageantrag und steht die erlassene Regelung nicht unter dem Vorbehalt des Ausgangs des Klageverfahrens, d.h. wird dem Antragsteller die im Klageverfahren begehrte Rechtsposition bereits im Anordnungsverfahren uneingeschränkt und unentziehbar eingeräumt, wird die Hauptsache endgültig vorweggenommen (OVG Bremen DÖV 1991, 512; OVG Münster NVwZ-RR 1996, 169, 170). Dies gilt vor allem für solche Regelungen, die wie die Abhaltung von Wahlen (VGH Mannheim DVBl. 1984, 276) oder die Neubewertung von Prüfungsleistungen (OVG Münster NVwZ-RR 1995, 329) kraft Natur der Sache nur endgültig getroffen werden können. Eine endgültige Vorwegnahme liegt weiterhin vor, wenn die erstrebte Anordnung vollzogen werden soll, bevor es zu einer Entscheidung in der Hauptsache kommt, und sich die Vollzugsfolgen rechtlich nicht mehr rückgängig machen lassen (VGH Kassel ESVGH 42, 220 f.). So verhält es sich z.B. bei einer Erlaubniserteilung für eine Veranstaltung (VGH Mannheim NVwZ-RR 1992, 57).
Dagegen handelt es sich nicht um einen Fall der endgültigen, sondern der vorläufigen Vorwegnahme, wenn der Vollzug der erlassenen Anordnung lediglich praktisch vollendete Tatsachen schafft. So kann z.B. zu Unrecht geleistete Sozialhilfe gem. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 945 ZPO als Schadensersatz zurückgefordert werden (VGH Kassel NVwZ-RR 1993, 145, 146). Die Durchsetzung des Anspruchs wird aber generell daran scheitern, dass der Sozialhilfeempfänger die Leistungen bestimmungsgemäß verbraucht hat und über keine sonstigen Vermögenswerte verfügt.
Bei der vorläufigen Vorwegnahme der Hauptsache sind Antrags- und Klageziel ebenfalls identisch, die erlassene Regelung steht aber unter der auflösenden Bedingung des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens. Dem Antragsteller wird die begehrte Rechtsposition nur für die Dauer des Hauptsacheverfahrens, also auf Zeit, eingeräumt. Bis zur Entscheidung in der Hauptsache wird er so gestellt, als habe er mit der Klage bereits Erfolg gehabt. So nimmt der vorläufig versetzte Schüler mit den gleichen Rechten und Pflichten wie seine Mitschüler am Unterricht der nächst höheren Klasse teil, der vorläufig zugelassene Studienbewerber ist rechtlich einem Studenten gleichgestellt (VGH Mannheim DVBl. 1993, 508). Obsiegt der Antragsteller in der Hauptsache, geht die vorläufige Berechtigung in eine endgültige über, unterliegt er in der Hauptsache, erlischt sie und die erlangten Rechtsvorteile können rückgängig gemacht werden (OVG Hamburg a.a.O.). Der vorläufig versetzte Schüler muss in seine bisherige Klasse zurückkehren, der vorläufig zugelassene Studienbewerber die Universität verlassen.
Regelungen, die für den Antragsteller lediglich faktisch vorteilhaft sind, fallen nicht unter den Begriff der Vorwegnahme; denn der Antragsteller wird nicht so gestellt, als wenn er in der Hauptsache obsiegt hätte. Dies gilt etwa für einen Studienbewerber, der ohne vorläufige Immatrikulation als Gasthörer am Vorlesungsbetrieb teilnehmen will. Eine entsprechende einstweilige Anordnung verschafft ihm nicht die Rechtsvorteile, die er im Klageverfahren mit der Zulassung zum Studium erstreiten will.
b) Prinzipielles Vorwegnahmeverbot
Die Rechtsprechung geht ganz überwiegend von einem prinzipiellen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache in ihren beiden Formen aus (OVG Bautzen SächsVBl. 1997, 268, 270; OVG Hamburg DVBl. 1987, 316, 317; VGH Kassel NJW 1989, 470, 478; VGH Mannheim NVwZ-RR 1996, 681; VGH München NJW 1997, 1181; OVG Münster NVwZ-RR 1997, 110; BVerwG ZBR 2005, 314).
Hinweis:
Die einstweilige Anordnung darf die Grenzen einer vorläufigen Regelung nicht überschreiten, weil ansonsten über die Erhaltung der Entscheidungsfähigkeit des Klageverfahrens hinaus vollendete Tatsachen geschaffen würden.
c) Ausnahmsweise zulässige Vorwegnahme
Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gilt das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme nach h.M. nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und das Begehren in der Hauptsache erkennbar Erfolg haben wird (BVerwG Buchholz 310 § 123 VwGO Nr. 15) oder ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht (OVG Berlin NVwZ-RR 1997, 712,...