Ein Antrag ist auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, wenn das Rechtsschutzziel des Anordnungsverfahrens mit dem des Klageverfahrens übereinstimmt (BVerwGE 63, 110, 111; VGH Kassel a.a.O.). Ob das der Fall ist, lässt sich durch einen Vergleich der in beiden Verfahren gestellten Sachanträge ermitteln (OVG Koblenz AS 20, 11, 12).
Decken sich Anordnungs- und Klageantrag und steht die erlassene Regelung nicht unter dem Vorbehalt des Ausgangs des Klageverfahrens, d.h. wird dem Antragsteller die im Klageverfahren begehrte Rechtsposition bereits im Anordnungsverfahren uneingeschränkt und unentziehbar eingeräumt, wird die Hauptsache endgültig vorweggenommen (OVG Bremen DÖV 1991, 512; OVG Münster NVwZ-RR 1996, 169, 170). Dies gilt vor allem für solche Regelungen, die wie die Abhaltung von Wahlen (VGH Mannheim DVBl. 1984, 276) oder die Neubewertung von Prüfungsleistungen (OVG Münster NVwZ-RR 1995, 329) kraft Natur der Sache nur endgültig getroffen werden können. Eine endgültige Vorwegnahme liegt weiterhin vor, wenn die erstrebte Anordnung vollzogen werden soll, bevor es zu einer Entscheidung in der Hauptsache kommt, und sich die Vollzugsfolgen rechtlich nicht mehr rückgängig machen lassen (VGH Kassel ESVGH 42, 220 f.). So verhält es sich z.B. bei einer Erlaubniserteilung für eine Veranstaltung (VGH Mannheim NVwZ-RR 1992, 57).
Dagegen handelt es sich nicht um einen Fall der endgültigen, sondern der vorläufigen Vorwegnahme, wenn der Vollzug der erlassenen Anordnung lediglich praktisch vollendete Tatsachen schafft. So kann z.B. zu Unrecht geleistete Sozialhilfe gem. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 945 ZPO als Schadensersatz zurückgefordert werden (VGH Kassel NVwZ-RR 1993, 145, 146). Die Durchsetzung des Anspruchs wird aber generell daran scheitern, dass der Sozialhilfeempfänger die Leistungen bestimmungsgemäß verbraucht hat und über keine sonstigen Vermögenswerte verfügt.
Bei der vorläufigen Vorwegnahme der Hauptsache sind Antrags- und Klageziel ebenfalls identisch, die erlassene Regelung steht aber unter der auflösenden Bedingung des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens. Dem Antragsteller wird die begehrte Rechtsposition nur für die Dauer des Hauptsacheverfahrens, also auf Zeit, eingeräumt. Bis zur Entscheidung in der Hauptsache wird er so gestellt, als habe er mit der Klage bereits Erfolg gehabt. So nimmt der vorläufig versetzte Schüler mit den gleichen Rechten und Pflichten wie seine Mitschüler am Unterricht der nächst höheren Klasse teil, der vorläufig zugelassene Studienbewerber ist rechtlich einem Studenten gleichgestellt (VGH Mannheim DVBl. 1993, 508). Obsiegt der Antragsteller in der Hauptsache, geht die vorläufige Berechtigung in eine endgültige über, unterliegt er in der Hauptsache, erlischt sie und die erlangten Rechtsvorteile können rückgängig gemacht werden (OVG Hamburg a.a.O.). Der vorläufig versetzte Schüler muss in seine bisherige Klasse zurückkehren, der vorläufig zugelassene Studienbewerber die Universität verlassen.
Regelungen, die für den Antragsteller lediglich faktisch vorteilhaft sind, fallen nicht unter den Begriff der Vorwegnahme; denn der Antragsteller wird nicht so gestellt, als wenn er in der Hauptsache obsiegt hätte. Dies gilt etwa für einen Studienbewerber, der ohne vorläufige Immatrikulation als Gasthörer am Vorlesungsbetrieb teilnehmen will. Eine entsprechende einstweilige Anordnung verschafft ihm nicht die Rechtsvorteile, die er im Klageverfahren mit der Zulassung zum Studium erstreiten will.