a) Kollisionen von Kfz
aa) Verstöße
Kollidieren zwei jeweils rückwärts ausparkende Pkw auf einem unübersichtlichen Parkplatz, berechtigt allein der Umstand, dass einer der beiden Pkw in einem nicht näher einzugrenzenden Zeitpunkt vor dem Zusammenstoß zum Stehen gekommen war, insoweit nicht zur Annahme eines unabwendbaren Ereignisses und tritt die Betriebsgefahr dieses Pkw im Einzelfall nicht schon wegen des vorkollisionären Stillstands zurück (OLG Saarbrücken NJW-RR 2019, 1435 = zfs 2020, 76 = NZV 2020, 103 m. Anm. Bachmor).
Die Anwendbarkeit des § 9 Abs. 4 S. 1 StVO, wonach derjenige, der nach links abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge, die ihrerseits nach rechts abbiegen wollen, durchfahren lassen muss, setzt einen typischen Geschehensablauf voraus. An einem solchen fehlt es, wenn im betreffenden Bereich zum einen Ampelzeichen vorgehen und zum anderen darüber hinaus eine gesonderte Lichtzeichenregelung für Linksabbieger vorhanden ist. In einer Kreuzungsräumer-Situation darf nur derjenige Verkehrsteilnehmer den Bereich bevorrechtigt räumen, von dem andernfalls, d.h. bei Verbleiben im Kreuzungskernbereich eine besondere Gefährdung für den übrigen Verkehr, insb. für den wieder einsetzenden Querverkehr, ausgehen würde (KG DAR 2019, 619 = NZV 2019, 310 m. Anm. Bachmor; zum Vorrang des Kreuzungsräumers Kuhnke NZV 2019, 593; zum Linksabbieger Lamberz NZV 2019, 603). Die Grundsätze, nach denen einem Nachzügler bei einer durch Lichtzeichenanlage geregelten Kreuzung durch den eigentlich nunmehr bevorrechtigten Querverkehr das Verlassen der Kreuzung ermöglicht werden soll, gelten dann nicht, wenn der Nachzügler beim Wechsel der Lichtzeichen noch nicht den inneren Bereich der Kreuzung erreicht hat (sog. unechter Kreuzungsräumer; KG NJW-RR 2019, 1433).
Der in dem einzigen zulässigen Linksabbiegerfahrstreifen Nachfolgende darf dem Voranfahrenden dessen Recht, zwischen mehreren markierten Fahrstreifen der Straße, in die abgebogen wird, zu wählen, nicht vorzeitig durch starkes Beschleunigen streitig machen, sondern hat abzuwarten, bis sich der Voranfahrende endgültig eingeordnet hat. Das Wahlrecht des Voranfahrenden endet erst mit seiner endgültigen Einordnung in einen Fahrstreifen, also. i.d.R. frühestens 15 bis 20 m nach dem Beginn der Fahrstreifenmarkierungen (KG DAR 2020, 141 = NJW-RR 2020, 219).
bb) Quotenbildung und Mitverschulden
Wird die höchstzulässige Geschwindigkeit um mehr als das Doppelte überschritten und liegt die Geschwindigkeit innerorts absolut über 100 km/h, ist ein besonders schwerer Verkehrsverstoß gegeben, der i.d.R. zu einer Alleinhaftung führt, auch wenn der Handelnde an sich die Vorfahrt hat (KG DAR 2020, 23 = VRR 3/2020, 10 m. Anm. Burhoff = zfs 2020, 141 m. Anm. Diehl). Auch bei einem halben Spurwechsel von der mittleren auf die Überholspur einer Autobahn ist grds. von der Alleinhaftung des Spurwechslers auszugehen. Ein Spurwechsel aufgrund eines Ausweichmanövers aus Schrecken oder einer Fehlreaktion ist nicht vorwerfbar. Bei einer maßvollen Überschreitung der Richtgeschwindigkeit ist eine Betriebsgefahr i.H.v. 20 % angemessen (OLG Celle NZV 2019, 640 m. Anm. Pletter). Ist ein Vorfahrtsberechtigter absolut fahruntüchtig (1,77 ‰), haftet er im Falle eines Unfalls nur mit, wenn positiv feststeht, dass sich die Alkoholisierung im Schadenereignis auch niedergeschlagen hat. Bei der Abwägung nach § 17 StVG können nämlich nur solche Umstände Berücksichtigung finden, die sich erwiesenermaßen auf den Unfall ausgewirkt haben (LG Hamburg NZV 2019, 594 m. Anm. Bachmor).
b) Kollisionen mit Radfahren, sonstigen Fahrzeugen und Fußgängern
Radfahrer, die einen Fußgängerüberweg benutzen, genießen nicht den Schutz des § 26 Abs. 1 S. 1 StVO und handeln ihrerseits verbotswidrig. Aufgrund ihrer Schnelligkeit und Wendigkeit sind sie nicht in gleicher Weise besonders schutzbedürftig wie Fußgänger und Rollstuhlfahrer. Kollidiert ein Rechtsabbieger im Kreuzungsbereich mit einem Radfahrer, der verbotswidrig den Fußgängerüberweg befährt, trifft beide ein 50 %-iges Mitverschulden (OLG Hamm NZV 2020, 102 m. Anm. Riemer).
Hinweis:
Einen nach einem Verkehrsunfall in Anspruch genommenen Haftpflichtversicherer trifft die Pflicht, sich bei seinem Versicherungsnehmer und etwaigen unfallbeteiligten Mitversicherten zu erkundigen, ob der Vortrag des Geschädigten zum Unfallgeschehen zutrifft, bevor er sich zum klägerischen Vorbringen einlässt. Will er sich mit Nichtwissen erklären, muss er hinreichende Gründe dafür darlegen, warum er sich auf der Grundlage der erteilten Auskünfte nicht dazu einlassen kann, ob das Vorbringen des Geschädigten zutrifft (BGH NJW 2019, 3788 = zfs 2020, 85).