Auch diesmal waren die Grundsätze zum standardisierten Messverfahren und deren Auswirkungen auf das Bußgeldverfahren Gegenstand einer Vielzahl von Entscheidungen. Dabei handelt es sich um ein durch Normen vereinheitlichtes technisches Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081, 3083; BGHSt 43, 277 = NJW 1998, 321, 322). Insofern gilt ein Regel-Ausnahme-Verhältnis: Ohne konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler genügt das Gericht mit der Feststellung von Messverfahren und Toleranzabzug seiner Aufklärungs- und Darstellungspflicht (Regelfall). Anderes gilt nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für einen Messfehler (Ausnahme), wofür es regelmäßig konkreter, einer Beweiserhebung zugänglicher Einwände des Betroffenen bedarf. Im Grundsatz genügt im Urteil die Angabe des verwendeten standardisierten Messverfahrens und des abgezogenen Toleranzwerts. Der Bauartzulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) soll die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zukommen. Erfolgt die Konformitätserklärung eines Messgeräts nach § 11 MessEV zeitlich vor der durchzuführenden Konformitätsbewertung, soll dies keine Auswirkungen auf die Annahme eines standardisierten Messverfahrens haben (so OLG Celle zfs 2019, 509 = NZV 2019, 646 abl. Deutscher).
Auswirkungen auf die Praxis hat die Entscheidung des VerfGH Saarland gehabt (NJW 2019, 2456 m. krit. Anm. Krumm = NZV 2019, 414 m. krit. Anm. Krenberger = DAR 2019, 500 m. Anm. Gratz = zfs 2019, 527 = StRR 8/2019, 28/VRR 8/2019, 11 jew. m. Anm. Deutscher; s. auch abl. Peuker NZV 2019, 443; zust. Mysegades NZV 2020, 119). Hiernach besteht ein verfassungsrechtliches Beweisverwertungsverbot für das Ergebnis solcher Geschwindigkeitsmessungen, bei denen das eingesetzte Messgerät die erhobenen Rohmessdaten nicht speichert (folgend AG Lörrach DAR 2019, 700 m. Anm. Weigel). Die OLG haben darauf ablehnend oder ausweichend reagiert: Ob das Ergebnis einer Messung oder einer sonstigen Untersuchung im Einzelfall reproduzierbar ist, kann die Validität der Untersuchung nicht beseitigen; jedenfalls ist ein generelles Beweisverwertungsverbot aus der unterbliebenen Datenspeicherung nicht abzuleiten (OLG Stuttgart DAR 2019, 697 = zfs 2019, 713). Der Grundsatz eines fairen Verfahrens und das Gebot einer effektiven Verteidigung gebieten es im Falle sog. standardisierter Geschwindigkeitsmessverfahren nicht, dem Betroffenen die sog. Rohmessdaten jederzeit und zum Zwecke anlassloser Überprüfung zu überlassen. Das gilt unabhängig davon, ob Messdaten im Einzelfall von dem Gerät gespeichert werden oder nicht (OLG Köln DAR 2019, 695; OLG Schleswig VRR 2/2020, 25 m. Anm. Niehaus; OLG Oldenburg VRR 3/2020, 21 m. Anm. Burhoff). Bei dem Messgerät PoliScan Speed FM 1 ist das Messergebnis grds. überprüfbar (OLG Zweibrücken zfs 2019, 591). Das Geschwindigkeitsmessverfahren PoliScan Speed bleibt weiterhin ein standardisiertes Messverfahren (OLG Brandenburg zfs 2019, 708). Bei Messungen mit dem neuen Gerät ES 8.0 handelt es sich um ein standardisiertes Verfahren (OLG Oldenburg a.a.O.).
Bei einem Geschwindigkeitsverstoß, der mit dem Messgerät TRAFFIPAX TraffiStar S 330 ermittelt wurde, resultiert allein aus dem Fehlen des Schlosssymbols auf dem zu den Akten gelangten Ausdruck des Messfotos kein weiterer Aufklärungsbedarf. Das regelmäßige Fehlen des sog. Schlosssymbols auf dem ausgedruckten und bei den Akten befindlichen Messfoto begründet keine Zweifel am Messergebnis, sofern im Einzelfall keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Authentizität und Integrität der Messdaten gefährdet sind (OLG Köln NZV 2019, 540 m. Anm. Krenberger). Eine Verschiebung des Bildausschnitts in vertikaler Richtung kann ein Indiz dafür sein, dass der nach der Betriebsanleitung bei der Verwendung des Messgeräts TRAFFIPAX SpeedoPhot erforderliche aufmerksame Messbetrieb nicht stattgefunden hat, was zur Folge hätte, dass kein standardisiertes Messverfahren angewendet wurde (BayObLG zfs 2020, 114). Die Messung durch Nachfahren ist kein standardisiertes Messverfahren. Es bedarf konkreter Angaben zum Abstand zwischen dem Fahrzeug des Betroffenen und dem verfolgenden Polizeifahrzeug (OLG Oldenburg DAR 2019, 586 m. Anm. Preuth/Decker).
Hinweis:
Zur Zulässigkeit der Geschwindigkeitsüberwachung durch Abschnittskontrolle (Section Control) OVG Lüneburg NJW 2019, 2951 = zfs 2019, 477; NZV 2020, 145 m. Anm. Müller.