Seit den Anfängen der Internet- und Nutzung elektronischer Kommunikation wird diskutiert, wie diese neue Arbeitsweise bei der anwaltlichen Arbeit zum Einsatz kommen kann. Dabei ist im Rahmen der technischen Entwicklung festzustellen, dass immer mehr technische Systeme und Dienstleistungen der Unterstützung Dritter bedürfen bzw. von diesen vollständig bereitgestellt und unterhalten werden. Was zunächst als ein erhöhtes Risiko für die Sicherheit und Vertraulichkeit der verarbeiteten Daten erscheint, führt bei der Wahl angemessener Methoden und vertrauenswürdiger Dienste sogar zu einem höheren technischen Sicherheitsniveau sowie der Verlässlichkeit der Datenverarbeitung.
Vor diesem Hintergrund hat die Satzungsversammlung kürzlich die Neufassung des § 2 BORA beschlossen, welche nachdem keine Bedenken des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz gegeben sind (AnwBl 2015, M132), vermutlich am 1. Juli oder 1. September 2015 in Kraft treten wird ( http://anwaltsblatt.anwaltverein.de/nachrichten-details/items/Satzungsversammlung_11.2014.html; AnwBl 2015, 70–71; Dahns NJW-Spezial 2014, 766; Uwer in: Beck'scher Online-Kommentar DatenSR, 11. Edition, Stand: 1.2.2015). Die neue Regelung § 2 Abs. 3c BORA stellt klar, dass die anwaltliche Mandatsbearbeitung grundsätzlich unter Einsatz der oben dargestellten Tools erfolgen darf, ohne dass es einer vorherigen Einwilligung des Mandanten bedarf. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berufsverschwiegenheit ist danach nicht gegeben, wenn das Ermöglichen des Zugriffs "im Rahmen der Arbeitsabläufe der Kanzlei einschließlich der Inanspruchnahme von Leistungen Dritter erfolgt und objektiv einer üblichen, von der Allgemeinheit gebilligten Verhaltensweise im sozialen Leben entspricht (Sozialadäquanz)" (s. § 2 Abs. 3c BORA).
Hinweis:
Zentraler Begriff bei der Auswahl der technischen Tools ist also die in der strafrechtlichen Gesetzgebung und Rechtsprechung entwickelte Sozialadäquanz. Danach ist eine Verhaltensweise sozialadäquat, wenn sie objektiv einer üblichen von der Allgemeinheit gebilligten Verhaltensweise im jeweiligen sozialen Umfeld entspricht. Die Auswahl der technischen Hilfsmittel und Dienstleister in der Anwaltskanzlei obliegt damit der verantwortlichen Entscheidung des Anwalts unter Ausschöpfung angemessener Maßnahmen zur Sicherung der Anforderungen der Vertraulichkeit.
§ 2 Abs. 5 BRAO stellt im Einzelnen klar, dass der Anwalt Dritte wie seine Berufsgehilfen auf die Vertraulichkeit zu verpflichten hat. Eine privatrechtliche Verpflichtung zur Vertraulichkeit (Vertraulichkeitsvereinbarung) sowie der datenschutzrechtlich erforderliche Abschluss einer Vereinbarung zur Verarbeitung von Daten im Auftrag (Auftragsdatenverarbeitungsvereinbarung nach § 11 BDSG – ADV) sind nachzuhalten, zu kontrollieren und jeweils zu aktualisieren. § 2 Abs. 6 BRAO erinnert daran, dass Handlungsbedarf jeweils dann besteht, wenn der Anwalt von einer etwaigen Unzuverlässigkeit des Diensteanbieters Kenntnis hat oder erlangt. Datenschutzrechtliche Anforderungen bleiben nach § 2 Abs. 7 BRAO in ihrem Anwendungsbereich unberührt.
Es ist damit zu rechnen, dass Dienstleister, Provider und Produktanbieter insbesondere im anwaltlichen Serviceumfeld diese Anforderungen pro aktiv umsetzen und den Anwaltskanzleien entsprechende Auswahl- und Kontrollmöglichkeiten durch unabhängige Zertifizierungen und Audits ermöglichen (Hellwig AnwBl 2012, 590–593, Leutheusser-Schnarrenberger AnwBl 2012, 477, Kilian AnwBl 2012, 798–800; Kubach/Gutsche K&R 2015, 86–89). Selbstverständlich ist es die Verpflichtung der Anwaltschaft dies einzufordern, auch im Rahmen elektronischer Kommunikation mit Gerichten, Behörden, Gerichtsvollziehern, etc. (Deckenbrock AnwBl 2015, 365–375; Kahler CR 2015, 153–157). Diese Regelung kommt daher gerade rechtzeitig vor der Umsetzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs, da dringender Bedarf der Klarstellung zu den Rahmenbedingungen der Digitalisierung der Kanzleien (s.a. davit ITK-Grundregeln 2011, http://www.davit.de/ueber-uns/infos; Auer-Reinsdorff in: Beck'sches Formularbuch für die Anwaltskanzlei, Kap. L).