a) Notwendigkeitsprüfung
Wohnt die Partei am Ort des Gerichts oder hat sie dort ihren Sitz, beauftragt sie aber einen auswärtigen Anwalt, der nicht im Gerichtsbezirk niedergelassen ist, findet eine Notwendigkeitsprüfung statt (§ 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO).
b) Notwendigkeit bejaht
Wird die Notwendigkeit ausnahmsweise bejaht, sind die Reisekosten in voller Höhe erstattungspflichtig. Eine Notwendigkeit wird allerdings nur in Ausnahmefällen angenommen. Die Rechtsprechung bejaht nur in besonderen Fällen eine Erstattungsfähigkeit, etwa dann, wenn zu dem auswärtigen Anwalt ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht oder es sich um einen besonderen Spezialisten handelt und ein solcher im Gerichtsbezirk nicht zu finden ist.
Rechtsprechungshinweise:
- OLG Frankfurt (AGS 2004, 210 = OLGR 2004, 222 [bejaht bei Milchquotenrecht und Sonderrecht des Beitrittsgebiets]),
- OLG Frankfurt (AGS 2016, 497 [bejaht bei Sortenschutzsachen]),
- VG Freiburg (AGS 2006, 101 [bejaht bei Luftverkehrsrecht]),
- OLG Jena (AGS 2013, 151 = MDR 2012, 1437 = NJW-RR 2013, 317 [bejaht bei spezieller Arzthaftungsfrage; Implantation eines Port-Systems]).
c) Notwendigkeit verneint
Ergibt die Prüfung, dass die Hinzuziehung eines auswärtigen Anwalts nicht notwendig war, führt dies nach der ganz überwiegenden Zivilrechtsprechung allerdings nicht zum völligen Ausschluss der Kostenerstattung. Vielmehr sind die Kosten dieses Anwalts zu erstatten bis zur Höhe der erstattungsfähigen Kosten eines im Gerichtsbezirk niedergelassenen Anwalts.
Rechtsprechungshinweise:
- AG Kiel (AGS 2014, 8 = NJW-RR 2013, 892 = JurBüro 2013, 591),
- AG Marbach am Neckar (AGS 2014, 210 = Rpfleger 2014, 289 = NJW-Spezial 2014, 348),
- LG Düsseldorf (AGS 2015, 7 = NJW 2015, 498 m. Anm. Schons = AnwBl 2015, 351 = MDR 2015, 427 = Rpfleger 2015, 369 = JurBüro 2015, 255 = ErbR 2015, 135 = RVGprof. 2015, 76),
- OLG Schleswig (AGS 2015, 487 = NJW 2015, 3311 m. Anm. N. Schneider = RVGreport 2015, 385),
- OLG Köln (AGS 2016, 55 = AnwBl 2016, 361 = RVGreport 2016, 68 = NJW-Spezial 2016, 157 = MDR 2016, 184 = NZFam 2016, 186),
- OLG Frankfurt – 25. Senat (AGS 2017, 101),
- OLG Frankfurt – 6. Senat (Beschl. v. 8.2.2017 – 6 W 91/16, zur Veröffentlichung vorgesehen in AGS 5/2017),
- AG Waldbröl (Beschl. v. 25.4.2017 – 15 C 114/14, zur Veröffentlichung vorgesehen in AGS 5/2017).
Dabei ist wiederum auf die höchstmögliche Entfernung im Gerichtsbezirk abzustellen, also auf den vom Gericht am weitesten entfernten Ort innerhalb des Gerichtsbezirks. Ob dort tatsächlich ein Anwalt ansässig ist, ist unerheblich. Maßgebend ist insoweit stets der Bezirk des Gerichts, vor dem der Anwalt tätig wird. Daher ist vor dem AG auf den Amtsgerichtsbezirk abzustellen, vor dem LG auf den Landgerichtsbezirk und vor dem OLG auf den OLG-Bezirk.
Hinweis:
A.A. ist derzeit wohl lediglich das OLG Celle (AGS 2015, 442 m. Anm. N. Schneider = NJW 2015, 2670 = RVGreport 2015, 386). Der 6. Senat des OLG Frankfurt dürfte mit der vorstehend zitierten Entscheidung (Beschl. v. 8.2.2017 – 6 W 91/16) seine frühere gegenteilige Auffassung (JurBüro 2016, 203 = AGS 2016, 361 = ErbR 2016, 520) aufgegeben haben.
Die zutreffende Rechtsprechung weist zu Recht darauf hin, dass anderenfalls in mehrfacher Hinsicht eine Ungleichbehandlung erfolgen würde. So ist es in der Tat nicht nachzuvollziehen, dass ein Anwalt, dessen Kanzlei 100 km vom Gericht entfernt, aber noch im Gerichtsbezirk liegt, die volle Reisekostenerstattung erhält, während ein Anwalt, der seine Kanzlei nur 20 km vom Gericht entfernt hat, bei der Kostenerstattung ausgeschlossen sein soll, weil seine Kanzlei nicht im Gerichtsbezirk liegt.
Es ist zudem ein allgemeiner Grundsatz, dass nicht notwendige Kosten stets insoweit zu erstatten sind, als dadurch fiktive notwendige Kosten erspart worden sind.
Darüber hinaus würde sich eine Ungleichbehandlung zu den Fällen der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe ergeben (s. unten II.).
Beispiel:
Der Anwalt hat seine Kanzlei in Köln und wird von einer in Düsseldorf ansässigen Partei mit einem Rechtsstreit vor dem LG Düsseldorf und anschließend mit dem Berufungsverfahren vor dem OLG Düsseldorf beauftragt.
Die Reisekosten des Kölner Anwalts belaufen sich erst- und zweitinstanzlich jeweils (netto) auf:
1. |
Köln – Düsseldorf und zurück, 2 × 45 km x 0,30 EUR/km |
|
27,00 EUR |
2. |
Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG |
|
25,00 EUR |
3. |
Parkgebühren |
|
3,36 EUR |
|
Gesamt |
|
55,36 EUR |
Hätte die Partei erstinstanzlich einen Anwalt aus Korschenbroich beauftragt, das noch zum LG-Bezirk Düsseldorf zählt, wären dessen Reisekosten in voller Höhe erstattungsfähig gewesen:
1. |
Korschenbroich – Düsseldorf und zurück, 2 × 27 km x 0,30 EUR/km |
|
16,20 EUR |
2. |
Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG |
|
25,00 EUR |
3. |
Parkgebühren |
|
3,36 EUR |
|
Gesamt |
|
44,56 EUR |
Folglich sind die Reisekosten des Kölner Anwalts für die erste Instanz bis zur Höhe dieser Kosten erstattungsfähig.
Hätte die Partei vor dem OLG Düsseldorf einen Anwalt aus Emmerich beauftragt, das noch zum OLG-Bezirk Düsseldorf gehört, wären Reisekosten angefallen in Höhe von:
1. |
Emmerich – Düsseldorf und zurück, 2 × 103 km x... |