1. § 906 BGB: Zuführung unwägbarer Stoffe
Die Vorschrift gilt als die Generalnorm des zivilrechtlichen Nachbarschutzes (BT-Drucks 12/7425, S. 87) und als Inhaltsbestimmung des Eigentums; geregelt wird der privatrechtliche Immissionsschutz. Sie beschränkt die negativen Eigentümerbefugnisse aus § 903 S. 1 BGB, indem sie die dem Grundstückseigentümer grundsätzlich zustehenden Abwehransprüche zugunsten der Nachbarn einschränkt (Lemke, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 13. Aufl. 2018, § 906 Rn 1). Er muss die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräuschen und Erschütterungen (die Aufzählung ist nicht erschöpfend, s. BGHZ 90, 255, 259) sowie ähnliche Einwirkungen von einem anderen Grundstück entschädigungslos dulden, wenn dadurch die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt wird.
Bespiele für weitere ähnliche Einwirkungen:
- Staubeinwirkung (BGHZ 62, 186, 190 ff.),
- Anflug von Bienen und die dadurch bewirkte Blütenbestäubung (BGHZ 117, 110),
- Herabfallen von Laub, Nadeln, Blüten und Zapfen von Bäumen (BGHZ 157, 33),
- Strahlung durch elektromagnetische Felder (BGH NJW 2004, 1317).
Keine "ähnlichen Einwirkungen" sind feste Körper nicht unerheblichen Umfangs wie z.B. Steinbrocken aus Sprengungen (BGHZ 28, 225), angeschwemmte Steine von einem Damm (BGHZ 58, 149, 159) sowie Schrotbleikugeln (BGHZ 111, 158, 162). Auch negative Einwirkungen wie der Entzug von Licht, Luft und Wind werden nach der h.M. nicht von dem Begriff der "ähnlichen Einwirkungen" erfasst (BGH, NJW-RR 2015, 1425).
Die Duldungspflicht besteht allerdings auch, wenn eine wesentliche Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung auf der ortsüblichen Nutzung eines benachbarten Grundstücks beruht und nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindert werden kann. In diesem Fall steht dem duldungspflichtigen Eigentümer nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB ein auf die Zahlung von Geld gerichteter Ausgleichsanspruch zu, wenn die Einwirkung die ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag unzumutbar beeinträchtigt. Dem liegt der allgemeine Aufopferungsgedanke zugrunde.
Hinweis:
§ 906 BGB enthält – außer der Regelung in Absatz 2 Satz 2 zum Ausgleichsanspruch – keine Anspruchsgrundlage. Die aus den nicht zu duldenden Nutzungsbeeinträchtigungen folgenden Abwehransprüche des Grundstückseigentümers ergeben sich in erster Linie aus § 1004 Abs. 1 BGB, ggf. auch aus § 907 BGB.
2. § 909 BGB: Vertiefung
Die Vorschrift beschränkt die positiven Befugnisse des Eigentümers aus § 903 S. 1 BGB, indem ihm an sich erlaubte Maßnahmen, nämlich Vertiefungen auf seinem eigenen Grundstück vorzunehmen, zugunsten der Festigkeit des Bodens benachbarter Grundstücke untersagt werden, wenn die Vertiefung einen Eingriff in fremdes Eigentum darstellt (BGHZ 103, 39, 42). Damit wird die natürliche bodenphysikalische Stütze gesichert, die sich die Grundstücke gegenseitig gewähren (BGHZ 91, 282, 284). Das Verbot einer Vertiefung, die das Nachbargrundstück gefährdet, gilt auch dann, wenn sie – z.B. im Zusammenhang mit der Errichtung eines Gebäudes – behördlich genehmigt ist.
Hinweis:
Eine Anspruchsgrundlage enthält die Vorschrift nicht, sondern lediglich ein Verbot. Der Anspruch des betroffenen Grundstückseigentümers zur Durchsetzung des Verbots ergibt sich aus § 1004 Abs. 1 BGB (BGHZ 85, 375, 384).
3. § 912 BGB: Überbau
Im Vordergrund der Vorschrift steht der Gedanke der Werterhaltung von Gebäuden (BGH NJW 2015, 2489, 2492). Dazu legt das Gesetz dem von einem Überbau des Nachbarn betroffenen Grundstückseigentümer eine Duldungspflicht auf, die sowohl seine positiven als auch seine negativen Befugnisse aus § 903 S. 1 BGB beschränkt. Auch wird der nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 93, 94 Abs. 1, 946 BGB an sich eintretende Eigentumserwerb an dem Überbau verhindert. Das alles gilt nach § 912 Abs. 1 BGB allerdings nur dann, wenn der Nachbar weder vorsätzlich noch grob fahrlässig über die gemeinsame Grundstücksgrenze gebaut und der betroffene Grundstückseigentümer weder vor noch sofort nach der Grenzüberschreitung Widerspruch erhoben hat. Als Ausgleich erhält der Duldungspflichtige nach § 912 Abs. 2 S. 1 BGB eine Geldrente. Sie soll den Nutzungsverlust ausgleichen, den er durch die Überbauung eines Teils seines Grundstücks erleidet (BGHZ 65, 395, 398). Für die Höhe der Rente ist nach § 912 Abs. 2 S. 2 BGB die Zeit der Grenzüberschreitung maßgebend.
Hinweis:
Die Überbaurente ist nicht nach Art und Ausmaß der Einbuße bei der tatsächlichen Nutzung des überbauten Grundstücksteils, sondern allein auf der Grundlage von dessen Verkehrswert zur Zeit der Grenzüberschreitung zu bemessen (BGH ZfIR 2019, 84, 86).
Besteht keine Duldungspflicht, weil der Eigentümer des Nachbargrundstücks schuldhaft über die Grenze gebaut oder der Eigentümer des überbauten Grundstücks rechtzeitig Widerspruch erhoben hatte, hat dieser einen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB auf Beseitigung des Überbaus und aus § 985 BGB auf Herausgabe der überbauten Fläche.
4. § 917 BGB: Notweg
Die Vorschrift beschränkt die aus § 903 S. 1 BGB folgende negative Befugnis des Eigentümers des Grundstücks, über...