I. Einführung
Nach § 903 S. 1 BGB (Befugnisse des Eigentümers) kann der Eigentümer einer Sache mit ihr nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen. Diese positiven und negativen Eigentümerbefugnisse unterliegen Beschränkungen allerdings insoweit, als das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen.
Es liegt auf der Hand, dass der damit dem Eigentümer in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht zugewiesene ungestörte Gebrauch der Sache allein schon dadurch gestört werden kann, dass jedem Eigentümer einer anderen Sache dieselben Befugnisse zustehen. Eine besondere Anfälligkeit für Beeinträchtigungen in dieser Hinsicht besteht immer dann, wenn sich die Sache des einen und die Sache des anderen Eigentümers in einem engen räumlichen Zusammenhang befinden. Das ist insbesondere bei benachbarten Grundstücken der Fall. Dort kollidieren die Interessen der Eigentümer bei der Benutzung ihrer Grundstücke, die jeder von ihnen auf die Regelung in § 903 S. 1 BGB stützen kann, besonders häufig miteinander. Das Gesetz löst diesen Konflikt mit Hilfe der Vorschriften in den §§ 905–923 BGB und in den Nachbarrechtsgesetzen der Bundesländer. Bedeutsam und beispielhaft hierfür sind die §§ 906, 909, 912, 917 BGB sowie Art. 46b BayAGBGB (eine inhaltsgleiche Vorschrift enthalten die Nachbarrechtsgesetze der übrigen Bundesländer). Sie weisen die Gemeinsamkeit auf, dass sie die aus § 903 S. 1 BGB folgenden Befugnisse jedes Grundstückseigentümers inhaltlich beschränken. Das geschieht im Hinblick auf die Interessen des Nachbarn an der möglichst ungestörten Benutzung seines eigenen Grundstücks. Damit wird von jedem Eigentümer die gebotene Rücksichtnahme verlangt.
II. Gesetzliche Regelungen
1. § 906 BGB: Zuführung unwägbarer Stoffe
Die Vorschrift gilt als die Generalnorm des zivilrechtlichen Nachbarschutzes (BT-Drucks 12/7425, S. 87) und als Inhaltsbestimmung des Eigentums; geregelt wird der privatrechtliche Immissionsschutz. Sie beschränkt die negativen Eigentümerbefugnisse aus § 903 S. 1 BGB, indem sie die dem Grundstückseigentümer grundsätzlich zustehenden Abwehransprüche zugunsten der Nachbarn einschränkt (Lemke, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 13. Aufl. 2018, § 906 Rn 1). Er muss die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräuschen und Erschütterungen (die Aufzählung ist nicht erschöpfend, s. BGHZ 90, 255, 259) sowie ähnliche Einwirkungen von einem anderen Grundstück entschädigungslos dulden, wenn dadurch die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt wird.
Bespiele für weitere ähnliche Einwirkungen:
- Staubeinwirkung (BGHZ 62, 186, 190 ff.),
- Anflug von Bienen und die dadurch bewirkte Blütenbestäubung (BGHZ 117, 110),
- Herabfallen von Laub, Nadeln, Blüten und Zapfen von Bäumen (BGHZ 157, 33),
- Strahlung durch elektromagnetische Felder (BGH NJW 2004, 1317).
Keine "ähnlichen Einwirkungen" sind feste Körper nicht unerheblichen Umfangs wie z.B. Steinbrocken aus Sprengungen (BGHZ 28, 225), angeschwemmte Steine von einem Damm (BGHZ 58, 149, 159) sowie Schrotbleikugeln (BGHZ 111, 158, 162). Auch negative Einwirkungen wie der Entzug von Licht, Luft und Wind werden nach der h.M. nicht von dem Begriff der "ähnlichen Einwirkungen" erfasst (BGH, NJW-RR 2015, 1425).
Die Duldungspflicht besteht allerdings auch, wenn eine wesentliche Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung auf der ortsüblichen Nutzung eines benachbarten Grundstücks beruht und nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindert werden kann. In diesem Fall steht dem duldungspflichtigen Eigentümer nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB ein auf die Zahlung von Geld gerichteter Ausgleichsanspruch zu, wenn die Einwirkung die ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag unzumutbar beeinträchtigt. Dem liegt der allgemeine Aufopferungsgedanke zugrunde.
Hinweis:
§ 906 BGB enthält – außer der Regelung in Absatz 2 Satz 2 zum Ausgleichsanspruch – keine Anspruchsgrundlage. Die aus den nicht zu duldenden Nutzungsbeeinträchtigungen folgenden Abwehransprüche des Grundstückseigentümers ergeben sich in erster Linie aus § 1004 Abs. 1 BGB, ggf. auch aus § 907 BGB.
2. § 909 BGB: Vertiefung
Die Vorschrift beschränkt die positiven Befugnisse des Eigentümers aus § 903 S. 1 BGB, indem ihm an sich erlaubte Maßnahmen, nämlich Vertiefungen auf seinem eigenen Grundstück vorzunehmen, zugunsten der Festigkeit des Bodens benachbarter Grundstücke untersagt werden, wenn die Vertiefung einen Eingriff in fremdes Eigentum darstellt (BGHZ 103, 39, 42). Damit wird die natürliche bodenphysikalische Stütze gesichert, die sich die Grundstücke gegenseitig gewähren (BGHZ 91, 282, 284). Das Verbot einer V...