I. Existenzsicherungsrecht
1. Umfang außerschulischer Lernförderung
Leistungen für Bedarfe der Bildung und Teilhabe nach §§ 28, 29 SGB II für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind (neben dem Regelbedarf) nach der Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 u.a., NJW 2010, 505) in das SGB II mit Wirkung ab 1.1.2011 eingefügt worden. Die Leistungen nach § 28 Abs. 2 und Abs. 4–7 SGB II waren nach § 37 Abs. 1 S. 2 gesondert zu beantragen, was seit dem 30.4.2019 nur noch für die Leistungen nach § 28 Abs. 5 SGB II gilt (BGBl I 2019, S. 530, Art. 3 Nr. 5a). Sie werden erbracht als Sachleistungen in Form von personalisierten Gutscheinen oder Direktzahlungen an Anbieter, § 29 Abs. 1 S. 2 SGB II.
Hinweis:
Entsprechende Regelungen für Kinder von nicht erwerbsfähigen Eltern sind in §§ 34–34b SGB XII geregelt; für Kinder, deren Eltern den Kinderzuschlag nach § 6a BKKG oder gemeinsam mit den Kindern Wohngeld erhalten, regelt dies § 6b Abs. 1 Nr. 1 BKKG. Für Kinder aus Familien, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, gelten nach § 6 Abs. 3 AsylbLG die §§ 34–34b SGB XII entsprechend.
Nunmehr hat das BSG erstmals zum Umfang des Anspruchs auf Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II wegen einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) entschieden (BSG, Urt. v. 20.4.2018 – B 4 AS 19/17 R): Der Kläger, der zusammen mit seiner Mutter in der strittigen Zeit durchgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezog, nahm am allgemeinen schulischen Förderunterricht im Fach Deutsch teil. Ab dem Schuljahr 2011/2012 wurden bei ihm die Rechtschreibleistungen in den Fachnoten wegen Notenschutzes nicht berücksichtigt, seine Versetzung war nicht gefährdet. Die Grundschule stellte bei ihm durch Bescheid das Vorliegen einer LRS im Sinne des Erlasses "Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legastheniker)" des zuständigen Ministeriums fest. In dem strittigen Zeitraum besuchte der Kläger einen Unterricht zur Lese- und Rechtschreibförderung der Volkshochschule (VHS) von 90 Minuten pro Woche, dessen Kosten sich auf 56–89 EUR monatlich beliefen. Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Übernahme dieser Kosten ab, weil die Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II nur vorübergehende kurzfristige und versetzungsrelevante Lernschwächen beheben soll, nicht aber eine länger andauernde Förderung, wie vorliegend, zum Gegenstand haben könne. Außerdem sei die Versetzung nicht gefährdet.
Nach erfolglosem Widerspruch haben die Gerichte erster und zweiter Instanz der Klage stattgegeben. Die vom LSG zugelassene Revision des Beklagten war im Sinne der Aufhebung des Urteils und der Zurückweisung begründet (§ 170 Abs. 2 S. 2 SGG). Das BSG beanstandet (nur), dass die Ausprägung der beim Kläger bestehenden LRS und damit ebenso der im Rahmen einer Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II zu deckende Bedarf offen geblieben ist. Dies habe das LSG im wieder eröffneten Berufungsverfahren nachzuholen. Ferner wird es ausgehend von der ggf. durch Sachverständigengutachten näher zu konkretisierenden LRS und dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand dann zu klären sein, ob und inwieweit eine die schulischen Angebote ergänzende Lernförderung erforderlich und der Unterricht bei der VHS geeignet und die entstandenen Kosten angemessen waren.
Das BSG bestätigt allerdings ausdrücklich die Auffassung des Berufungsgerichts, wonach Lernförderung mehr als nur Nachhilfe ist und grundsätzlich jede Förderung Lernender umfasst. Das Gericht stellt zur Begründung seiner Auffassung auf Sinn und Zweck der Norm ab: Der Gesetzgeber wollte mit den Bedarfen für Bildung und Teilhabe die vom BVerfG (Urt. v. 9.2.2010 – 1 BvL1/09, a.a.O.) aufgestellten Anforderungen umsetzen, so dass diese bei der Ausfüllung des bundesrechtlichen Begriffs der Lernförderung heranzuziehen sind. Danach soll über die Vermittlung von Bildung die materielle Basis für Chancengerechtigkeit hergestellt und vermieden werden, dass schulpflichtige Kinder von SGB-II-Beziehern ohne hinreichende staatliche Leistungen in ihren Möglichkeiten eingeschränkt werden, später ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten zu können, was nach der Entscheidung des BVerfG mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG nicht vereinbar wäre (s. BVerfG, a.a.O., Rn 192). Die Ermöglichung von Chancengerechtigkeit kann effektiv nur über ein weites Verständnis des Begriffs der Lernförderung erreicht werden, so dass diesem Begriffsverständnis der Vorzug zu geben ist. Somit kann Lernförderung auch nicht nur kurzzeitige, sondern ggf. längerfristige Bedarfe umfassen und damit u.U. für einen längeren Zeitraum zu erbringen sein. Aus den gleichen Gründen sind nach Auffassung des BSG die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele, die mit einer solchen Lernförderung erreicht werden sollen, die Kulturtechniken Lesen und Schreiben und nicht die Versetzung in die nächsthöhere Klasse als solche.
Zwar seien in diesem Zusammenhang die Prüfung möglicher vorrangiger Leistungen...