1. Zeugenvernehmung durch Berichterstatter im Erörterungstermin/Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme
Für das sozialgerichtliche Verfahren hat nach § 117 SGG das Gericht Beweis in der mündlichen Verhandlung zu erheben (Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme), soweit die Beweiserhebung nicht einen besonderen Termin erfordert, wobei hierzu jeder Termin außer dem Termin zur mündlichen Verhandlung gehört.
Der häufigste Fall der Beweisaufnahme außerhalb der mündlichen Verhandlung ist die gesetzlich vorgesehene Beweiserhebung durch die Vorsitzenden (beim SG) oder Berichterstatter (beim LSG) im vorbereitenden Verfahren nach § 106 Abs. 3 Nr. 4 SGG bzw. § 155 Abs. 1 SGG, allerdings, wie das Gesetz formuliert, nur in geeigneten Fällen. Die zuletzt genannten Bestimmungen stehen in einem Spannungsverhältnis zu § 117 SGG.
Das BSG hat darüber entschieden, unter welchen Voraussetzungen Vorsitzende bzw. Berichterstatter beim LSG berechtigt sind, Zeugen in einem Erörterungstermin vorab nach § 106 Abs. 3 Nr. 3 SGG zu vernehmen, ohne dass die Beweisaufnahme im späteren Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem gesamten Spruchkörper zu wiederholen ist (BSG, Beschl. v. 12.9.2018 – B 14 AS 414/17 B; Keller jurisPR-SozR 23/2018, Anm. 6). Im vorliegenden Fall – streitig war, ob zwischen dem Kläger und zwei anderen Personen eine Bedarfsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 SGB II bestand mit der Folge der wechselseitigen Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nach § 9 Abs. 2 S. 1 SGB II – hatte die Berichterstatterin des LSG zunächst in einem Erörterungstermin den Kläger persönlich angehört und zwei Zeugen vernommen. Knapp zwei Jahre später hörte der nunmehr zuständige Berichterstatter in einem Erörterungstermin den Kläger erneut persönlich an und vernahm eine weitere Zeugin. In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG beantragte der Kläger hilfsweise, die zeitlich erste Beweisaufnahme vor dem gesamten Senat zu wiederholen. Das LSG hat die Berufung des Klägers überwiegend zurückgewiesen und entschieden, einer Wiederholung der Beweisaufnahme vor dem Senat habe es nicht bedurft. Die frühere Beweisaufnahme hätte durch Heranziehung der Sitzungsniederschrift verwertet werden können. Anders wäre es nur, wenn das LSG seine Entscheidung auf die fehlende Glaubwürdigkeit eines gehörten Zeugen stützen würde. Im vorliegenden Fall sei das jedoch nicht der Fall, da es im Rahmen der Beweiswürdigung davon ausgehe, der Kläger habe, da unterschiedliche, sich widersprechende Aussagen vorlägen, seinen Vortrag nicht beweisen können. Das Gericht hatte demnach eine Beweislastentscheidung getroffen. Die auf einen Verfahrensmangel i.S.v. § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG gestützte Nichtzulassungsbeschwerde war im Umfang der Aufhebung und Zurückverweisung erfolgreich. Hier habe, so das BSG, kein geeigneter Fall i.S.v. § 106 Abs. 3 Nr. 4 SGG vorgelegen, der eine Zeugenvernehmung allein in einem Erörterungstermin rechtfertige. Die Wertung der Aussagen der Zeuginnen – die zum Zusammenleben mit dem Kläger bzw. zu den Eigentumsverhältnissen und Wohnverhältnissen des Klägers gehört wurden – hätte nicht vorgenommen werden können, ohne im besonderen Maße deren Glaubwürdigkeit zu beurteilen, was voraussetzt, von den Zeuginnen einen eigenen persönlichen Eindruck zu erlangen. Unerheblich sei, dass das LSG in seinem Urteil nicht auf die Glaubwürdigkeit der gehörten Zeuginnen abgestellt habe. Die Annahme des Gerichts, es stehe "Aussage gegen Aussage" setze unausgesprochen eine vorherige Bewertung der Glaubwürdigkeit der Zeuginnen voraus. Bei der Interpretation des Tatbestandsmerkmals des "geeigneten Falls" in § 106 Abs. 3 Nr. 4 SGG ist die nach § 118 Abs. 1 S. 1 SGG entsprechend anwendbare Vorschrift des § 375 Abs. 1 und 2 ZPO zu beachten, wonach u.a. die Aufnahme des Zeugenbeweises einem Mitglied des Prozessgerichts nur dann übertragen werden darf, wenn von vornherein anzunehmen ist, das Prozessgericht werde das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck vom Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß würdigen können.
Praxishinweis:
Prozessbevollmächtigte sollten in Fällen wie dem vorliegenden hinsichtlich der zu wiederholenden Vernehmung einen förmlichen Beweisantrag beim LSG stellen, um später einen Verfahrensverstoß nach § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG erfolgreich mit der Nichtzulassungsbeschwerde beim BSG rügen zu können. Unterbleibt die Stellung eines solchen Beweisantrags, tritt möglicherweise eine Heilung des Verfahrensmangels nach § 202 S. 1 SGG i.V.m. § 295 Abs. 1 ZPO ein (s. hierzu die Ausführungen von Keller in jurisPR-SozR 23/2018, Anm. 6).
2. Zulässigkeit der Berufung
Die Parteien stritten vorliegend um die Weitergewährung von Krankengeld über den 31.1.2014 hinaus. Da die beklagte Krankenkasse aufgrund einer Stellungnahme des MDK an diesem Tag die Zahlung einstellte, beantragte und erhielt der Kläger von der Beigeladenen Arbeitslosengeld. Das SG hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1.2.2014 bis zum 31.3.2014 Krankengeld zu zahlen, "s...