Entgegen eines weit verbreiteten Irrtums ist rechtmäßig angeordnete Untersuchungshaft regelmäßig kein Strafmilderungsgrund. Dies ist gefestigte Rechtsprechung des BGH, weshalb nicht recht nachvollziehbar erscheint, weshalb dessen ungeachtet in nahezu jedem Plädoyer, selbst von Staatsanwälten, und in viel zu vielen Urteilen ohne jeden Bezug zu den Umständen des konkreten Falls lapidar ausgeführt wird, die erlittene Untersuchungshaft wirke sich strafmildernd aus. Sofern die Staatsanwaltschaft trotz einer offensichtlich nicht mit der Rechtsprechung des BGH vereinbaren Strafzumessung "stillhält" und nicht ins Rechtsmittel geht, sind solche Urteile für den Angeklagten und den Verteidiger ein Geschenk, das man ohne schlechtes Gewissen annehmen kann; lässt die Staatsanwaltschaft jedoch ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit walten und ficht das Urteil an, wird es mit dürren Worten aufgehoben (vgl. BGH NStZ 2019, 81).
Hinweis:
Nach der Rechtsprechung des BGH kommt eine mildernde Berücksichtigung grundsätzlich auch nicht in Betracht, wenn gegen den Angeklagten erstmals Untersuchungshaft vollstreckt wird (BGH a.a.O.).
Ein Nachteil entsteht dem Angeklagten durch die Linie des BGH nicht, wird doch die Untersuchungshaft gem. § 51 Abs. 1 S. 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet. Ausnahmsweise kann allerdings doch eine Strafmilderung erfolgen, wenn sich die Untersuchungshaft im Nachhinein als nicht rechtmäßig erweist oder wenn im Einzelfall zusätzliche, den Angeklagten besonders beschwerende Umstände oder Folgen des Haftvollzugs hinzutreten.
Als solche Umstände anerkannt worden sind etwa eine überlange Verfahrensdauer (BGH NStZ 2006, 568), besondere persönliche Verhältnisse des Angeklagten (BGH, Urt. v. 13.2.2001 – 1 StR 565/00) oder eine den Angeklagten aufgrund relativ langer Dauer der Untersuchungshaft besonders belastende Ungewissheit (BGH, Urt. v. 11.1.2000 – 1 StR 579/99). Auch hat es der BGH akzeptiert, wenn das Auftreten einer Haftpsychose (vgl. BGH StV 1984, 151) als besonders belastender Umstand gewertet wurde.
Zudem kann bei Ausländern ein auf das Fehlen familiärer Bindungen und/oder fehlender Kenntnisse der deutschen oder einer sonst verbreiteten Sprache zurückzuführender Mangel an sozialen Kontakten eine besondere Erschwernis darstellen (BGH NJW 2006, 2645), wobei jedoch nicht verkannt werden darf, dass die Ausländereigenschaft allein keine besondere Strafempfindlichkeit begründet (Fischer, § 46 Rn 43b).