I. Überblick
Viele Rechtsanwälte – Rechtsanwältinnen kommen in dieser Konstellation selten oder gar nicht vor – entdecken plötzlich ihre anwaltliche Schweigepflicht, wenn sie gegenüber Rechtsschutzversicherern, die einen Rechtsstreit vorfinanziert haben, Auskunft über Erstattungsbeträge erteilen sollen. Dieser weitverbreiteten Unsitte hat der BGH in zwei aktuellen Entscheidungen (Urt. v. 23.7.2019 – VI ZR 307/18, NJW 2019, 3003 = VersR 2019, 1378; Urt. v. 13.2.2020 – IV ZR 90/19, ZAP 8/2020, ZAP EN-Nr. 192/2020) eine eindeutige Absage erteilt.
In beiden Entscheidungen wird ausgeführt, dass Rechtsanwälte über den Eingang von Erstattungsbeträgen unverzüglich Auskunft erteilen müssen.
II. Rechtsanwälte/Rechtsschutzversicherungen
Unmittelbare Vertragsbeziehungen zwischen Rechtsschutzversicherern und Rechtsanwälten bestehen nicht. Es ist vielmehr von einem Dreiecksverhältnis auszugehen, da vertragliche Beziehungen nur zwischen dem Mandanten und dem Rechtsschutzversicherer einerseits und zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten andererseits bestehen.
Unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen dem beauftragten Rechtsanwalt und dem Rechtsschutzversicherer könnten dadurch begründet werden, dass der Versicherungsnehmer seinen Befreiungsanspruch an den beauftragten Rechtsanwalt abtritt. Alle ARB enthalten ein vertraglich vereinbartes Abtretungsverbot, auf das Rechtsschutzversicherer auch im eigenen Interesse verzichten sollten.
Das Abtretungsverbot von Freistellungsansprüchen galt auch für viele Jahrzehnte in der Haftpflichtversicherung und ist nunmehr aufgrund der VVG-Reform (§ 108 Abs. 2 VVG) unzulässig.
Gleichwohl besteht ein Auskunftsanspruch der Rechtsschutzversicherungen über Zahlungseingänge aufgrund von Erstattungsansprüchen, sei es, dass man das rechtsschutzversicherte Mandat als Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ansieht (van Bühren, Versicherungsrecht 2014, 148 ff.) oder als gesetzliches Schuldverhältnis aus Geschäftsführung (§§ 666, 667 BGB) oder aus übergegangenem Auskunftsanspruch des Versicherungsnehmers gem. § 86 VVG. Bei allen rechtlichen Überlegungen ist das Ergebnis entscheidend: Ein Rechtsanwalt, der von einem Rechtsschutzversicherer Vorschüsse erhalten hat, muss über Erstattungsbeträge der Gegenseite unverzüglich Auskunft erteilen und Rechnung legen.
III. Das Urteil des BGH vom 23.7.2019 – VI ZR 307/18
Der BGH hat ein Berufungsurteil des LG Berlin bestätigt, in dem eine Rechtsanwaltskanzlei zum Schadenersatz verurteilt wurde, die Erstattungsbeträge erst nach mehreren Jahren an den Rechtsschutzversicherer weitergeleitet hatte. Der BGH bestätigt die in Rechtsprechung (OLG Saarbrücken, Urt. v. 6.6.2007 – 5 U 482/06, r+s 2007, 504) und Kommentierung (Habauer/Schneider, § 17 ARB Rn 159 ff.; Prölss/Martin/Armbrüster, § 17 ARB Rn 63; van Bühren/Plote, ARB Kommentar, 3. Aufl., Einleitung Rn 33) vertretene Auffassung, dass die Rechtsschutzversicherung eine Schadenversicherung mit der Folge ist, dass der dem Versicherungsnehmer gegen einen Dritten zustehende Ersatzanspruch gem. § 86 Abs. 1 S. 1 VVG auf den Rechtsschutzversicherer übergeht.
IV. Das Urteil des BGH vom 13.2.2020 – IX ZR 90/19
Der IX. Zivilsenat hat einer Kanzlei, die erst im Rechtsstreit die vom Rechtsschutzversicherer verlangte Auskunft erteilt hat, die Kosten des Verfahrens einschließlich der vorgerichtlichen Kosten auferlegt, weil diese zu Unrecht die Auskunftserteilung und Rechnungslegung über die Erstattungsbeträge verweigert hatte.
Der BGH führt aus, dass durch die Zahlung der Vorschüsse der aufschiebend bedingte Kostenerstattungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Prozessgegner auf den Rechtsschutzversicherer übergegangen sei. Es könne dahinstehen, ob der Klägerin ein eigener Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 681 S. 2, 667 BGB) zustehe.
Wenn der Prozessgegner an den beauftragten Rechtsanwalt Zahlungen leiste, gehe der vertragliche Anspruch des Versicherungsnehmers auf Herausgabe des Erlangten aus § 675 Abs. 1 BGB und aus’§ 667 BGB gegen seinen Rechtsanwalt gem. § 86 Abs. 1 S. 1 VVG auf den Rechtsschutzversicherer über.
Dem Anspruch auf Herausgabe des Erlangten aus §§ 675 Abs. 1, 667 BGB folge der Auskunftsanspruch des Versicherungsnehmers gegen seinen Rechtsanwalt als Hilfsrecht in analoger Anwendung von §§ 412, 401 BGB.
V. § 43a Abs. 2 BRAO
Dem Auskunftsanspruch stehe auch nicht die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht aus § 43a Abs. 2 BRAO entgegen. Wenn der Mandant dem Rechtsanwalt den Verkehr mit dem Rechtsschutzversicherer überlasse, entbinde er den beauftragten Rechtsanwalt konkludent von der Verschwiegenheitsverpflichtung, soweit es um die Abrechnung des Mandats geht (BGH, Urt. v. 13.2.2020 – IX ZR 90/19, ZAP 8/2020, ZAP EN-Nr. 192/2020; LG Heidelberg, Urt. v. 27.7.2016 – 1 S 51/15, zfs 2017, 160).
VI. § 43a Abs. 5 S. 2 BRAO
§ 43a Abs. 5 S. 2 BRAO hat folgenden Wortlaut:
Zitat
"Fremde Gelder sind unverzüglich an den Empfangsberechtigten weiterzuleiten oder auf ein Anderkonto einzuzahlen".
§ 43a Abs. 5 S. 2 BRAO ist zwar kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten des Rechtsschutzversicherers (BGH, Urt. v. 23.7.2019 – VI ZR 307/18, NJW 2019, 3003 = VersR 2019, 1378). Bei Würdigung des Regelungszusammenhangs und Berück...