Bereits im Jahre 2017 hatte der BGH entschieden, dass Anwaltsverträge den Regeln für Fernabsatzgeschäfte unterfallen und widerrufen werden können (Urt. v. 23.11.2017 – IX ZR 204/16, ZAP EN-Nr. 145/2018). Ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem läge aber regelmäßig nicht schon dann vor, wenn der Anwalt die technischen Möglichkeiten hierfür (die Fernkommunikationsmittel wie z.B. E-Mail, Telefon, Faxanschluss) vorhält. In einer weiteren Entscheidung (Urt. v. 19.11.2020 – IX ZR 133/19, ZAP EN-Nr. 21/2021) ist der BGH vertiefend darauf eingegangen, wann von einem für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystem auszugehen ist.
Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beklagte ist eine auf Hochschul- und Prüfungsrecht spezialisierte, bundesweit tätige Anwaltskanzlei mit Hauptsitz in Köln und Kontaktstellen in Frankfurt/M., Hamburg und München. Der Kläger ist Student. Er erhob am 4.2.2017 persönlich Klage vor dem VG Arnsberg gegen einen Notenbescheid der Fernuniversität Hagen. Bereits im Januar 2017 informierte der AStA der Fernuniversität Hagen die Beklagte über den Sachverhalt und stellte den Kontakt zwischen den Parteien her. Daraufhin beriet die Beklagte den Kläger zunächst telefonisch. Am 28.3.2017 unterschrieb der Kläger eine schriftliche Honorarvereinbarung und zahlte einen Vorschuss von 3.271,50 EUR. Am 6.11.2017 stellte die Beklagte dem Kläger insgesamt 6.247,50 EUR in Rechnung und verlangte abzüglich des Vorschusses noch 2.975 EUR, welche sie im Hinblick auf die Kostenerstattung im Prozess vor dem VG Arnsberg auf 2.482,46 EUR reduzierte. Mit Schreiben vom 30.11.2017 widerrief der Kläger die Honorarvereinbarung vom 28.3.2017 und verlangte den geleisteten Vorschuss zurück. Das AG Köln hat der Rückzahlungsklage stattgegeben, das LG Köln wies die Klage ab. Der BGH stellte das Urteil des AG Köln auf die Revision des Klägers hin wieder her. Der BGH begründete das unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung (BT-Drucks 14/2658) wie folgt:
Zitat
„Steht – wie im Streitfall – fest, dass der Unternehmer sowohl für die Vertragsverhandlungen als auch für den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet hat, wird nach der gesetzlichen Regelung in § 312c Abs. 1 BGB widerleglich vermutet, dass der Vertrag im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abgeschlossen worden ist. (...) Es obliegt daher dem Unternehmer, in derartigen Fällen darzulegen und zu beweisen, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist. (...)”
An die Annahme eines solchen Vertriebs- oder Dienstleistungssystems seien keine hohen Anforderungen zu stellen. Aus dem Anwendungsbereich herausgenommen werden sollen lediglich Geschäfte, die unter gelegentlichem, eher zufälligem Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden. Im konkreten Fall lagen genügend Indizien vor, sodass von einem für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystem ausgegangen werden musste.