Der Haftprüfungsantrag des Beschuldigten verpflichtet das Gericht zu der Prüfung, ob der Haftbefehl aufrecht und in Vollzug zu belassen, aufzuheben oder sein Vollzug auszusetzen ist. Mithin werden die Voraussetzungen für die Anordnung bzw. Fortdauer der Untersuchungshaft umfassend geprüft.
Erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit eines Haftbefehls ist der dringende Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 S. 1 StPO). Dieser ist gegeben, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Tat begangen hat. Der Verdachtsgrad ist demnach stärker als der für eine Anklageerhebung erforderliche, aber auch ausreichende hinreichende Tatverdacht.
Hinweis:
Trotz dieses Stufenverhältnisses setzt die Annahme eines dringenden Tatverdachts nicht zwingend voraus, dass bereits auch der hinreichende Tatverdacht feststeht. Denn die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts erfolgt stets auf der Grundlage der im Rahmen der – dann abgeschlossenen – Ermittlungen gewonnenen Erkenntnisse, während sich die Beurteilung, ob dringender Tatverdacht besteht, nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen richtet (Meyer-Goßner/Schmitt, § 112, Rn 6).
Ein dringender Tatverdacht kann also bereits in einem frühen Stadium des Verfahrens bejaht werden, was in der Praxis insb. dann häufig vorkommt, wenn der Beschuldigte unmittelbar nach der ihm zur Last gelegten Tat vorläufig festgenommen und gem. § 128 Abs. 1 StPO spätestens tags darauf dem Ermittlungsrichter vorgeführt wird.
Während der gesamten weiteren Ermittlungen ist jedoch im Blick zu behalten, ob sich der dringende Tatverdacht weiter verfestigt oder ob er, etwa aufgrund neu zutage getretener entlastender Umstände, entfällt. In diesem Fall ist der Beschuldigte sofort aus der Untersuchungshaft zu entlassen, ein Zuwarten bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens ist unzulässig.
Hinweis:
Will die Verteidigung zunächst erfahren, wie die Ermittlungsbehörden den aktuellen Verfahrensstand bewerten, aber noch keine negative gerichtliche Entscheidung riskieren, kann es sich im Einzelfall empfehlen, zunächst nicht an das zuständige Gericht, sondern an die Staatsanwaltschaft heranzutreten und dieser gegenüber anzuregen, ihrerseits die Aufhebung des Haftbefehls zu beantragen. An einen solchen Antrag ist das Gericht nämlich gebunden (§ 120 Abs. 3 S. 1 StPO). Auch kann es einen wichtigen Fingerzeig für den weiteren Gang des Verfahrens darstellen, wenn die StA selbst die Freilassung des Beschuldigten erwirkt. Sieht die StA allerdings die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft weiterhin als gegeben an und beantragt lediglich die Außervollzugsetzung des Haftbefehls, besteht nach richtiger Auffassung keine Bindungswirkung für das Gericht (OLG Celle, Beschl. v. 17.5.2021 – 2 Ws 145/21 m.w.N. auch zur Gegenauffassung).
Wenngleich ein dringender Tatverdacht bereits zu einem frühen Zeitpunkt bejaht werden darf, so ist doch darauf zu achten, dass er auf bestimmte Tatsachen gestützt sein muss, bloße Vermutungen sind unzureichend. Ob hinreichend konkrete Tatsachen vorhanden sind, kann in aller Regel erst nach eingehender Auswertung des Akteninhalts beurteilt werden, in den Haftbefehlen finden sich hierzu oftmals nur oberflächliche Ausführungen wie etwa der Hinweis, dass sich der Tatverdacht „aus den bisherigen polizeilichen Ermittlungen” ergebe.
Deshalb sollte von der Verteidigung zum dringenden Tatverdacht nur bzw. erst dann Stellung genommen werden, wenn dessen Annahme gewichtige Gründe entgegenstehen, da insb. hier das Risiko eines „Zementierens” des Tatverdachts im Rechtsbehelfsverfahren besteht (zum dringenden Tatverdacht Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2021, Rn 4476 f. [im Folgenden Burhoff, EV]; dort finden sich auch Beispielsfälle aus der Rechtsprechung, in denen dringender Tatverdacht verneint wurde). Argumente, die bereits in einem frühen Stadium des Verfahrens von den Gerichten als nicht stichhaltig eingestuft werden, werden sich in der Hauptverhandlung kaum noch erfolgreich anbringen lassen.