1. Einsatzmöglichkeiten
Stellt der Beschuldigte keinen Antrag auf Haftprüfung, kann er durch die Einlegung der – nicht fristgebundenen – Beschwerde eine Überprüfung des Haftbefehls durch das Rechtsmittelgericht erreichen. Dies kann sich insb. dann anbieten, wenn im Einzelfall eine Haftprüfung wenig aussichtsreich erscheint; die Neigung von Ermittlungsrichtern, einen (womöglich erst kürzlich) selbst erlassenen Haftbefehl alsbald wieder aufzuheben oder außer Vollzug zu setzen, ist mitunter nicht sonderlich stark ausgeprägt.
Zudem wird die Haftbeschwerde, ebenso wie der – jederzeit mögliche – Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls insb. während länger andauernder Hauptverhandlungen in der Praxis hin und wieder auch als taktisches Mittel eingesetzt und versucht, das Gericht so dazu zu bringen, seine aktuelle Einschätzung der Sach- und Rechtslage offenzulegen.
Erfolgversprechend ist dies in aller Regel freilich nicht. Das Gericht ist während laufender Hauptverhandlung nicht verpflichtet, die Würdigung der bislang erhobenen Beweise umfassend darzustellen. Das Haftprüfungsverfahren führt auch nicht zu einem Zwischenverfahren, in dem sich das Gericht zu Inhalt und Ergebnissen einzelner Beweiswürdigungen erklären müsste (OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.9.2007 – 4 Ws 305/07). Vielmehr bleibt die abschließende Würdigung der Beweise nach Abschluss der Beweisaufnahme der Urteilsberatung vorbehalten (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 368; BGH NStZ 1998, 51).
Hinweis:
Insbesondere zwingt die Durchführung eines Haftbeschwerdeverfahrens das Tatgericht nicht dazu, alle bislang erhobenen Beweise umfassend darzustellen und zu würdigen, und die Beurteilung des dringenden Tatverdachts wird nur eingeschränkt vom Beschwerdegericht nachgeprüft (BGH, Beschl. v. 29.10.2015 – StB 14/15). Allerdings muss das Beschwerdegericht in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen.
Auch die vom Gericht unter dem unmittelbaren persönlichen Eindruck vom Beschuldigten in der Hauptverhandlung gewonnene Erkenntnis, dass der Zweck der Untersuchungshaft durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug nicht erreicht werden kann, ist vom Beschwerdegericht nur eingeschränkt überprüfbar (BGH, a.a.O.).
2. Risiken
Insbesondere im Ermittlungsverfahren ist zudem zu beachten, dass die Einlegung einer Haftbeschwerde mit erheblichen Risiken für das gesamte weitere Verfahren verbunden sein kann. Zum einen hat der Beschuldigte keinen Anspruch auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und kann dem Gericht daher nicht persönlich gegenübertreten, zum anderen ist in der Praxis immer wieder zu beobachten, dass Haftbeschwerden, offenbar dem Wunsch des Mandanten nach möglichst schnellem Tätigwerden folgend, vorschnell bzw. ohne hinreichende Prüfung der Erfolgsaussichten eingelegt werden. In diesen Fällen besteht die bereits erwähnte Gefahr, dass das Beschwerdegericht den dringenden Tatverdacht derart zementiert, dass das Tatgericht die entsprechenden Punkte in der Hauptverhandlung nur noch „abarbeiten” muss.
Diese Problematik verstärkt sich noch dadurch, dass der Beschuldigte anders als in der mündlichen Haftprüfung, in der die Gerichte nicht selten auf mangelnde Erfolgsaussichten hinweisen und mitunter zur Rücknahme raten, von der Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts erst bei Bekanntgabe der Entscheidung erfährt; eine schadensbegrenzende, weil rechtzeitige, Rücknahme des Rechtsmittels ist dann nicht mehr möglich.
Hinweis:
Von der in der Praxis hin und wieder zu beobachtenden Vorgehensweise es mit einer Haftbeschwerde „einfach mal zu probieren”, ist daher dringend abzuraten. Hiermit werden beim Mandanten, der sich (menschlich verständlich) in der Haftsituation an jeden noch so kleinen Strohhalm klammert, falsche Hoffnungen geweckt, und im Hinblick auf den Tatrichter ist der psychologische Effekt, der durch die den dringenden Tatverdacht bestätigende Entscheidung eines übergeordneten Gerichts ausgelöst wird, nicht zu unterschätzen.