I. Einführung
Ergeht in einem Strafverfahren ein Haftbefehl, wird die Verteidigung vom Beschuldigten oder von dessen Umfeld häufig gedrängt, möglichst sofort gegen die Inhaftierung vorzugehen. Hiervon darf sie sich jedoch, so schwer ein umsichtiges Vorgehen der Mandantschaft oder deren Umfeld mitunter zu vermitteln sein mag, nicht unter Druck setzen lassen: Mit vorschnell eingelegten und/oder unzureichend begründeten Rechtsbehelfen, insb. Haftbeschwerden, hilft man seinem Mandanten nicht, sondern kann ihm im Gegenteil sogar erheblich schaden, im schlechtesten Fall bis weit in die Hauptverhandlung hinein. Jeder Tatrichter wird es aufmerksam lesen, wenn das Beschwerdegericht bereits vor Anklageerhebung nicht nur den dringenden Tatverdacht und den Haftgrund „festzurrt”, sondern sich in dessen Entscheidung zudem die (nicht seltene) Formulierung findet, dass der Beschuldigte „mit einer empfindlichen, nicht mehr bewährungsfähigen Freiheitsstrafe” zu rechnen habe. In diesem Fall kann es passieren, dass in der Hauptverhandlung die vom Beschwerdegericht genannten Gesichtspunkte nach und nach „abgehakt” werden und mit Einwendungen nur noch schwer durchzudringen ist.
Vor der Einlegung eines Rechtsbehelfs muss daher zwingend zunächst die Sach- und Rechtslage sorgfältig geprüft und geklärt werden, ob beim derzeitigen Stand des Verfahrens entlastende Umstände vorgetragen werden können, deren Gewicht groß genug ist, um den dringenden Tatverdacht oder/und den Haftgrund entfallen zu lassen. Ist dies nicht der Fall, sollte von Rechtsbehelfen abgesehen werden, andernfalls drohen die vorgenannten „Langzeitschäden”.
Die nachfolgenden Ausführungen geben einen Überblick über die gegen einen Haftbefehl zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe und zeigen zudem unter Einbeziehung der jüngeren Rechtsprechung zum Haftrecht Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Verteidigung auf.
II. Haftprüfung
1. Allgemeines
§ 117 Abs. 1 StPO gibt dem Beschuldigten, gegen den Untersuchungshaft vollzogen wird, das Recht, jederzeit Haftprüfung zu beantragen. Dies gilt auch während laufender Hauptverhandlung, die Entscheidung ergeht dann aber nach der Rechtsprechung des BGH und der OLG stets ohne Schöffen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Haftprüfung in der Hauptverhandlung oder während einer Unterbrechung derselben zwischen zwei Sitzungstagen beantragt wird (s. hierzu die Nachweise bei Burhoff/Hillenbrand, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl. 2021, Rn 2048 [im Folgenden Burhoff/Bearbeiter, HV]).
Beantragt der Beschuldigte Haftprüfung, ist die vorherige oder gleichzeitige Einlegung einer Haftbeschwerde unzulässig (§ 117 Abs. 2 S. 1 StPO). Die Unzulässigkeit kann auch nicht durch eine spätere Rücknahme des Haftprüfungsantrags „geheilt” werden, jedoch ist dann eine „neue Haftbeschwerde” möglich (str., Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 117 StPO Rn 14 m.w.N. [im Folgenden Meyer-Goßner/Schmitt]).
Hinweis:
Mit der Beschwerde anfechtbar ist jedoch der auf die Haftprüfung ergehende Beschluss, sofern mit diesem Haftfortdauer angeordnet wird, § 117 Abs. 2 S. 2 StPO (zur Beschwerde s.u.).
Hinter diesem Vorrang der Haftprüfung steht der Grundgedanke des Gesetzgebers, dass zunächst das sachnähere Haftgericht oder das bereits mit der Hauptsache befasste Tatgericht über die Haftfrage entscheiden soll und nicht das Beschwerdegericht (MüKoStPO-Böhm/Werner, 1. Aufl. 2014, § 117 StPO Rn 45).
Hinweis:
Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Beschuldigte bzw. die Verteidigung gehalten wäre, immer zunächst einen Haftprüfungsantrag zu stellen. Stattdessen kann, wenn dies zweckdienlich erscheint, auch direkt mit der Haftbeschwerde gegen den Haftbefehl vorgegangen werden.
Die Haftprüfung bietet den Vorteil, dass der Beschuldigte, sofern die Hauptverhandlung noch nicht begonnen hat (dann gilt § 118 Abs. 4 StPO), eine mündliche Verhandlung erzwingen kann; einem entsprechenden Antrag nach § 118 Abs. 1 StPO ist stattzugeben (Meyer-Goßner/Schmitt, § 118 Rn 1). Das Gericht hat an dieser Stelle keinen Ermessensspielraum.
Hinweis:
Im Haftbeschwerdeverfahren ist dies hingegen anders: Zwar sieht § 118 Abs. 2 StPO auch hier die Möglichkeit vor, mündliche Verhandlung zu beantragen. Das Gericht ist an einen solchen Antrag jedoch nicht gebunden, sondern entscheidet über die Durchführung der mündlichen Verhandlung nach seinem pflichtgemäßen Ermessen (Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung/Graf, 8. Aufl. 2019, § 118 StPO Rn 2 [im Folgenden KK/Bearbeiter]). In der Praxis werden deshalb die allermeisten Haftbeschwerdeverfahren rein schriftlich geführt.
Die auf einen entsprechenden Antrag des Beschuldigten obligatorische mündliche Verhandlung ist einer der Hauptgründe dafür, dass sich in vielen Verfahren eher die Haftprüfung anbietet als die Haftbeschwerde. So ergibt sich für die Verteidigung die Möglichkeit, mit der StA sowie ggf. auch mit dem Gericht nicht nur die Voraussetzungen der Untersuchungshaft, sondern in geeigneten Fällen auch den Stand des Verfahrens und etwaige Strafvorstellungen im direkten Gespräch zu ...