1. Anspruch auf Arbeitslosengeld (ALG) nach dem SGB III; Erfüllung der Anwartschaftszeit
Die Klägerin stellte im Dezember 2018 Antrag auf ALG. Sie hatte im Zeitraum 8.2.2017 bis einschließlich 24.8.2018 verschiedene, immer wieder unterbrochene Beschäftigungen ausgeübt und hierbei insgesamt 340 Tage in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Sie hatte mit ihrem Arbeitgeber am 15.3.2019 einen arbeitsgerichtlichen Vergleich geschlossen, wonach das Arbeitsverhältnis der Parteien im gegenseitigen Einvernehmen mit Ablauf des 30.9.2018 endete. Ferner waren sich die Parteien darüber einig, dass für den Monat September 2018 keinerlei Vergütungsansprüche bestehen sollten. Mit der Abrechnung und Auszahlung der Vergütung für den Monat August 2018 sollten sämtliche Vergütungsansprüche der Klägerin abschließend und endgültig erledigt sein.
Anspruch auf ALG hat nach § 137 Abs. 1 SGB III, wer arbeitslos ist (Nr. 1, s. hierzu § 138 SGB III), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet (Nr. 2) – was seit dem 1.1.2022 nach § 141 Abs. 1 SGB III n.F. nicht mehr zwingend persönlich zu erfolgen hat, sondern wahlweise elektronisch im Fachportal der BA nach Maßgabe von § 141 Abs. 1 S. 2 SGB III – und die Anwartschaftszeit (Nr. 3) erfüllt hat. Für Letzteres ist nach § 142 Abs. 1 S. 1 SGB III Voraussetzung, dass in der Rahmenfrist (§ 143 SGB III) mind. zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis zurückgelegt wurden. Die Rahmenfrist, die in dem hier zu beurteilenden Zeitraum zwei Jahre betrug (ab dem 1.1.2020 wurde sie auf 30 Monate verlängert), beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf ALG. Für die Erfüllung der Anwartschaft entspricht nach § 339 S. 2 SGB III ein Monat 30 Kalendertagen. Streitig war, ob der Monat September 2018 als Zeitraum eines Versicherungspflichtverhältnisses berücksichtigt werden konnte. In diesem Fall wäre die Anwartschaftszeit erfüllt gewesen. Das BSG entschied jedoch zulasten der Klägerin (BSG, Urt. v. 3.11.2021 – B 11 AL 8/20 R, hierzu Ondül, JM 2022, 149).
Nach den §§ 24 ff. SGB III stehen in einem Versicherungspflichtverhältnis Personen, die als Beschäftigte oder aus sonstigen Gründen versicherungspflichtig sind. Gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 SGB III sind versicherungspflichtig Personen nur solche, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Zwar setzt eine ein Versicherungspflichtverhältnis begründende Beschäftigung nicht zwingend eine tatsächliche Arbeitsleistung voraus, sondern liegt auch bis zum Ende eines Arbeitsverhältnisses dann (noch) vor, wenn Arbeitgeber bis zu diesem Zeitpunkt – ggf. bei einvernehmlicher und unwiderruflicher Freistellung – den Lohn fortzahlen oder zumindest ein Anspruch auf Arbeitsentgelt, etwa aus Annahmeverzug des Arbeitgebers, besteht. Keine der beiden Alternativen ist jedoch hier gegeben.
Hinweis:
Nach gefestigter Rechtsprechung des BSG ist der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses kontextabhängig und funktionsdifferent auszulegen: Unterschieden wird u.a. zwischen dem Begriff der Beschäftigung im
Die Klägerin hatte sich zur Stützung ihrer Ansicht auf die Norm des § 7 Abs. 3 S. 1 SGB IV berufen, wonach eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt als fortbestehend gilt, solange das Beschäftigungsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauert, jedoch nicht länger als einen Monat. Das BSG interpretiert die Vorschrift unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte sowie den Sinn und objektiv erkennbaren Regelungszweck so, dass die entgeltlosen Zeiten eine versicherungspflichtige Beschäftigung gegen Entgelt unterbrechen, also die versicherungspflichtige entgeltliche Beschäftigung im Anschluss an die entgeltlosen Zeiten fortgesetzt werden muss. Entsprechend seien von § 7 Abs. 3 S. 1 SGB IV insb. Arbeitsunterbrechungen ohne Fortzahlung von Arbeitsentgelt anlässlich eines unbezahlten Urlaubs, Streiks und Aussperrung sowie die Freistellung von der Arbeit aus anderen Gründen umfasst (so auch Zieglmeier in: KassKomm, Stand Mai 2020, § 7 SGB IV Rn 304, 306). Auf entgeltlose Zeiten am Ende eines Arbeitsverhältnisses ist die Norm nicht anwendbar.
In gleicher Weise wie bei der Beurteilung der Entgeltlichkeit einer Beschäftigung sind, so das BSG, bei der für die Fiktion des § 7 Abs. 3 S. 1 SGB IV erforderlichen tatsächlichen Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ggf. auch (spätere) Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien in die Bewertung mit einzubeziehen. Im Hinblick auf den gerichtlichen Vergleich von März 2019 komme es nicht (mehr) auf einen etwa noch im September 2018 vorhandenen Willen der Arbeitsvertragsparteien zur Fortsetzung der Beschäftigung über September 2018 hinaus an. Die Revision der Klägerin blieb nach allem erfolglos.
Hinweis:
Die vorliegende Entscheidung ist auch für die arbeitsrechtliche Praxis bedeutsam: Erscheint die Erfüllung der Anwartschaftszeit (§ 142 SGB III) für den Bezug von ALG zweif...