Die Parteien streiten über die Anrechnung von Trinkgeld – nach § 107 Abs. 3 S. 2 GewO ein Geldbetrag, den ein Dritter ohne rechtliche Verpflichtung Arbeitnehmern zusätzlich zu einer vom Arbeitgeber geschuldeten Leistung zahlt – über monatlich 25 EUR im Zeitraum Dezember 2014 bis Mai 2015. Die Auffassung des Jobcenters, es läge insoweit anrechenbares Einkommen vor, wurde von den Instanzgerichten geteilt. Die Revision der Klägerin war überwiegend erfolgreich (BSG, Urt. v. 13.7.2022 – B 7/14 AS 75/20 R, NJW 2023, 102 m. Anm. Kellner, 107).
Leistungen nach dem SGB II (bzw. nach dem SGB XII) sind nachrangige staatliche Zahlungen zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums. Der Nachrang bezieht sich insb. auf den vorrangigen Einsatz von Einkommen und Vermögen. Im SGB II bestimmt v.a. § 11a (neben Vorschriften der ALG-II V), welches Einkommen nicht zu berücksichtigen ist. Hierzu zählen nach Abs. 5 der Norm private Zuwendungen,
- die ohne rechtliche oder sittliche Pflicht erbracht werden,
- deren Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre oder
- die die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären.
Unter Hinweis auf die arbeits- und steuerrechtliche Rechtsprechung entscheidet das BSG, die Zuwendung von Trinkgeld erfolge freiwillig, es werde hierbei weder eine rechtliche noch eine sittliche Pflicht erfüllt. Zwar sei die Berücksichtigung von Trinkgeld nicht grob unbillig i.S.d. § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II. Das – von den Leistungsberechtigten dem Jobcenter mitzuteilende – Einkommen aus Trinkgeld beeinflusse nach § 11a SGB II Abs. 5 Nr. 2 SGB II die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären, soweit regelmäßig – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls – das Einkommen den Betrag von 10 % des maßgebenden Regelbedarfs (s. § 20 Abs. 2 SGB II u. die dortigen Verweise) nicht übersteigt (bei Alleinstehenden/Alleinerziehenden derzeit mtl. 50,20 EUR). Nur Trinkgeld, dass über diesem Betrag liegt, kann sich bei der Berechnung von Leistungen nach dem SGB II leistungsmindernd auswirken.
Hinweise:
1. Das Bürgergeld-Gesetz v. 16.12.2022 (BGBl I 2022, 2328) hat insb. das SGB II wesentlich geändert, dort zum Teil bereits mit Wirkung ab dem 1.1.2023, teilweise erst ab dem 1.7.2023. Die Neuerungen betreffen ferner das SGB XII und das SGB III. Hinweise zu dem Inhalt der neuen Vorschriften gibt Neumann, jurisPR-SozR 1/2023 Anm. 1 und 2/2023 Anm. 1. Das Bürgergeldgesetz hat § 11 Abs. 5 SGB II nicht geändert.
2. Das SGB XII enthält mit § 84 Abs. 2 eine ähnliche Vorschrift wie § 11a Abs. 5 SGB II.