1. Getreu dem Motto der französischen Revolution gilt: „Die Verjährung ist tot – es lebe die Verjährung!” Allerdings ist die Verjährung nur dann nicht tot, wenn:
- die Aufforderungs- und Hinweisobliegenheit
- im Hinblick auf die Inanspruchnahme von Urlaub erfüllt ist und
- die Erfüllung der Obliegenheit prozessual bewiesen ist. Nur dann lebt die Verjährung!
2. Im konkreten Verfahren hat das BAG am 20.12.2022 – 9 AZR 266/20 die Revision zurückgewiesen und die EuGH-Rechtsprechung 1:1 in deutsches Recht umgesetzt.
3. Die Argumentation zur Verjährung folgt der EuGH-Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen. Auch wenn es z.B. Jobst Hubertus Bauer unerfindlich ist (vgl. https://rsw.beck.de/aktuell/daily/magazin/detail/verjaehrung-von-urlaub-bei-verletzung-arbeitgeberseitiger-unterrichtungsobliegenheit ), ist die Entscheidung eine konsequente Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zum Verfall von Urlaubsansprüchen durch Befristung/Ausschlussfristen. Dogmatische Unterschiede zwischen Verjährung, Befristung und Ausschlussfristen scheren den EuGH nicht. Nach deutschem Recht stünde der Gleichstellung entgegen, dass die Verjährungsregelungen des BGB primär im öffentlichen Interesse bestehen, Ausdruck des Rechtsstaatlichkeitsgebots und des Schuldnerschutzes vor einer Beweisnot durch lange zurückliegende Zeit sind und Rechtssicherheit und Rechtsfrieden schaffen sollen. Dass die Institute des Verfalls und der Verjährung sich dogmatisch grundlegend unterscheiden, ist für den Generalanwalt und den EuGH irrelevant. Das ist aus Sicht des Unionsrechts konsequent: Die Arbeitszeitrichtlinie und Art. 31 Abs. 2 GrCh dienen dem Gesundheitsschutz. Dogmatisch ist es schlicht egal, aus welchem Grund der Gesundheitsschutz nicht realisiert wird! Die Linie dieser Rechtsprechung entspricht im Übrigen der Rechtsprechung des BAG zur Arbeitszeitrichtlinie und zum Nachtarbeitszuschlag bei Dauernachtarbeit.
4. Vorsicht, die Entscheidung wirkt zurück! Sie gilt für das BUrlG und das BGB. Die Verjährungsvorschrift des § 195 BGB wurde zuletzt zum 1.1.2002 geändert. Das BUrlG stammt aus dem Jahr 1963. Die Änderungen des BUrlG aus den Jahren 2002 und 2013 betrafen jeweils nicht das materielle Urlaubsrecht der §§ 1, 3, 7 BUrlG. Jedenfalls bis zum Inkrafttreten der Arbeitszeit-RL am 2.8.2004 sammeln sich die Urlaubsansprüche unbegrenzt an.
5. Für arbeitsfähige Arbeitnehmer hat der EuGH (Urt. v. 29.11.2017 – C-214/16, King) anerkannt, dass sich Urlaubsansprüche unbegrenzt ansammeln können.
6. Arbeitgeber und Rechtsanwälte sind gut beraten, zu Jahresbeginn über den Urlaubsanspruch, dessen Verfall und Verjährung sowie dessen Inanspruchn...