Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltungsansprüche im Umfang von 116 Tagen der Jahre 2013 bis 2017 i.H.v. 12.313,35 EUR brutto. Sie haben im Arbeitsvertrag eine Ausschlussfrist/Verfallklausel vereinbart, die wie folgt lautet:
Zitat
„§ 10 Ausschlussfrist
1. Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.
2. Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder sie erklärt sich nicht innerhalb von 2 Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von 3 Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.”
Das LAG hat die Klage abgewiesen. Die Revision hat in vollem Umfang mit Ausnahme des Zinslaufs Erfolg. Das BAG (Urt. v. 5.7.2022 – 9 AZR 341/21, NZA 2022, 1469) führt zur Begründung aus:
Auf die Ausschlussklausel sind die §§ 305 ff. BGB anzuwenden. Die Ausschlussfristenregelung bezieht sich ihrem Wortlaut nach auf „alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen”, ohne bestimmte Ansprüche aus ihrem Anwendungsbereich auszunehmen (vgl. zu einem solchen Fall BAG, Urt. v. 24.5.2022 – 9 AZR 461/21, NZA 2022, 1328). Infolge dieser weitgefassten Formulierung unterfallen der Klausel alle gesetzlichen, tariflichen und vertraglichen Ansprüche, die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsstellung gegeneinander haben (vgl. BAG, Urt. v. 22.10.2019 – 9 AZR 532/18 Rn 13, NZA 2020, 513).
Grundsätzlich kann der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung als reiner Geldanspruch Ausschlussfristen unterliegen. Dem steht weder der unabdingbare Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs nach §§ 1, 3 Abs. 1, § 13 Abs. 1 S. 1 BUrlG noch die vom Gerichtshof der Europäischen Union vorgenommene und für den Senat nach Art. 267 AEUV verbindliche Auslegung der Richtlinie 2003/88/EG entgegen (vgl. BAG, Urt. v. 22.10.2019 – 9 AZR 532/18 Rn 10, NZA 2020, 513; Urt. v. 24.5.2022 – 9 AZR 461/21 Rn 9, NZA 2022, 1328).
Die weite Formulierung erfasst auch Ansprüche wegen vorsätzlicher Vertragsverletzung und vorsätzlicher unerlaubter Handlung. Die Ausschlussfristenregelung in § 10 Nr. 1 des Arbeitsvertrags ist aber unwirksam, weil sie entgegen § 202 Abs. 1 BGB die Haftung wegen Vorsatzes begrenzt. Sie kann deshalb auch nicht für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung aufrechterhalten werden. An die Stelle der vertraglichen Ausschlussfrist treten unter Aufrechterhaltung des Vertrags im Übrigen die gesetzlichen Bestimmungen (§ 306 Abs. 1 und Abs. 2 BGB).
Hinweise:
1. Ein klassischer Fall der AGB-Kontrolle: Die verwenderfeindlichste Auslegung ist zu wählen. Obwohl die Urlaubsabgeltung tatbestandlich kein Verschulden voraussetzt, scheitert die Ausschlussfrist an § 202 Abs. 1 BGB dem Verbot des Ausschlusses der Vorsatzhaftung.
2. Es lag ein „Altvertrag” vor, weshalb die Klausel nicht bereits an der strengen „Schriftform” scheiterte. Die Notwendigkeit, keine strengere Form als die Textform vorzusehen (§ 309 Nr. 13b BGB) war nicht maßgebend. § 309 Nr. 13b BGB ist nach Art. 229 § 37 EGBGB erst auf Verträge anwendbar, die nach dem 1.10.2016 geschlossen wurden („Neuverträge”).
3. Der 9. Senat schlägt folgende Formulierung vor:
„§ 10 Ausschlussfrist
1. Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, „mit Ausnahme solcher aus einer vorsätzlichen Handlung” verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich (jetzt: in Textform) erhoben werden.
2. Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder sie erklärt sich nicht innerhalb von 2 Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von 3 Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.
Alternativ sei dies durch einen weiteren Satz (z.B. „Diese Regelung erfasst nicht Ansprüche der Parteien aus einer vorsätzlichen Handlung”) klarzustellen.
4. Der Senat legt die bekannten Grundsätze der Berechnung (§ 17 Abs. 1 und 2 BEEG) und der unterbliebenen Kürzung der Urlaubsansprüche an. Die vertraglich geregelte Quotelung verstößt gegen § 5 BUrlG und ist unwirksam.”