Dem 5. Senat des BAG lag der Fall eines Auslieferungsfahrers vor, der seine Arbeitszeit mittels technischer Zeitaufzeichnung erfasste, wobei nur Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeiten aufgezeichnet wurden. Zum Ende des Arbeitsverhältnisses ergab die Auswertung der Zeitaufzeichnungen einen positiven Saldo von 348 Stunden zugunsten des Klägers. Mit seiner Klage hat der Kläger Überstundenvergütung i.H.v. 5.222,67 EUR brutto verlangt. Er hat geltend gemacht, er habe die gesamte aufgezeichnete Zeit gearbeitet. Pausen zu nehmen sei nicht möglich gewesen, weil sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können. Die Beklagte hat dies bestritten.
Das ArbG Emden hatte der Klage stattgegeben. Der EuGH habe mit Urt. v. 14.5.2019 – C-55/18 [CCOO] entschieden, die Mitgliedstaaten müssten die AG verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen. Damit sei zugleich die Darlegungslast im Überstundenvergütungsprozess modifiziert. Die positive Kenntnis von Überstunden als eine Voraussetzung für deren arbeitgeberseitige Veranlassung sei jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn der Arbeitgeber sich die Kenntnis durch Einführung, Überwachung und Kontrolle der Arbeitszeiterfassung hätte verschaffen können. Ausreichend für eine schlüssige Begründung der Klage sei, die Zahl der geleisteten Überstunden vorzutragen. Da die Beklagte ihrerseits nicht hinreichend konkret die Inanspruchnahme von Pausenzeiten durch den Kläger dargelegt habe, sei die Klage begründet. Das LAG Niedersachsen hat die Klage abgewiesen.
Die Klage hat auch vor dem 5. Senat des BAG (Urt. v. 4.5.2022 – 5 AZR 359/21) keinen Erfolg. Es gelten folgende Darlegungs- und Beweislastgrundsätze: Der Arbeitnehmer muss zur Begründung einer Klage auf Vergütung geleisteter Überstunden zweierlei darlegen:
- Er leistet Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang oder hat sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten.
- Da der Arbeitgeber Vergütung nur für von ihm veranlasste Überstunden zahlen muss, hat der Arbeitnehmer zweitens vorzutragen, der Arbeitgeber habe die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt.
Die Grundsätze zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für die Leistung von Überstunden durch den Arbeitnehmer und deren Veranlassung durch den Arbeitgeber werden durch die auf Unionsrecht beruhende Pflicht zur Einführung eines Systems zur Messung der vom Arbeitnehmer geleisteten täglichen Arbeitszeit nicht verändert. Voraussetzung der Vergütung von Überstunden sei – so der Senat – als zweite Anspruchsvoraussetzung, das Erfordernis der Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung und Zurechnung von Überstunden durch den Arbeitnehmer. Die CCOO-Entscheidung des EuGH ist zur Auslegung und Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG im Lichte des Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergangen. Nach gesicherter Rechtsprechung des EuGH (BAG, a.a.O., Rn 23 ff.) beschränken sich diese Bestimmungen darauf, Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Sie fänden indes grds. keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer. Die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit habe deshalb keine Auswirkung auf die nach deutschem materiellen und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess.
Konkret habe der Kläger nicht hinreichend konkret dargelegt, dass es erforderlich gewesen sei, ohne Pausenzeiten durchzuarbeiten, um die Auslieferungsfahrten zu erledigen. Die bloße pauschale Behauptung ohne nähere Beschreibung des Umfangs der Arbeiten genüge hierfür nicht. Das Berufungsgericht habe daher auch offenlassen können, ob die von der Beklagten bestrittene Behauptung des Klägers, er habe keine Pausen gehabt, überhaupt stimme.
Hinweise:
1. Das Urteil des 5. Senat fußt auf der zutreffenden Unterscheidung von Vergütung und Arbeitsschutz. Für den Arbeitsschutz besitzt die Europäische Union die Kompetenz zum Regelungserlass aus Art. 153 AEUV. Sie hat diese durch Art. 31 Abs. 2 GrCh und die in deren Lichte auszulegende Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG, insbesondere Art. 7, ausgeübt. Das Vergütungsrecht ist dagegen allein nationales Recht, eine Kompetenz der Europäischen Union besteht nicht. Art. 153 Abs. 5 AEUV lautet wörtlich: „Dieser Artikel gilt nicht für das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht.” Weshalb auch der EuGH dazu nicht entscheiden konnte (vgl. Hahn, ZESAR 2022, 69). Ebenso liegt es bzgl. des nationalen Prozessrechts, wenn das ausschließlich national geprägte Vergütungsrecht Gegenstand der Klage ist.
2. Maßgebend ist nach der st. Rspr. des BAG (vgl. folgend und zuvor: BAG, Urt. v. 16.5.2021 – 5 AZR 347/11; BAG, Urt. v. 26.6.2019 – 5 AZR 452/18) die abgestu...