Nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 MuSchG in der seit dem 1.1.2018 geltenden Fassung ist die Kündigung gegenüber einer Frau während ihrer Schwangerschaft unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt ist, oder wenn sie ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Das Überschreiten dieser Frist ist unschädlich, wenn die Überschreitung auf einem von der Frau nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird.
Hinweis:
Nach einer von der Instanzrechtsprechung und von Teilen des Schrifttums vertretenen Auffassung wird das Bestehen einer Schwangerschaft und damit der Beginn des Kündigungsverbots bei natürlicher Empfängnis ausgehend von dem ärztlich festgestellten mutmaßlichen Entbindungstermin durch eine Rückrechnung eines Zeitraums von 266 Tagen bestimmt, wobei auf die durchschnittliche Schwangerschaftsdauer abgestellt wird. Dies entspricht jedoch nicht der Auffassung BAG, das bisher schon in st. Rspr. (s. etwa BAG, Urt. v. 26.3.2015 – 2 AZR 237/14, NZA 2015, 734 Rn 16 m.w.N.) bei der Rückrechnung auf die äußerste zeitliche Grenze für den möglichen Beginn einer Schwangerschaft, d.h. 280 Tage, abstellt.
Der 2. Senat des BAG sieht sich nicht veranlasst, seine Rechtsprechung zu ändern (s. BAG, Urt. v. 24.11.2022 – 2 AZR 11/22, NZA 2023, 291 = NJW 2023, 937), er hält der Gegenauffassung vor, sie berücksichtige ungenügend die sich aus dem Unionsrecht und dem nationalen Verfassungsrecht ergebenden Vorgaben. Die Revision der Klägerin, die beantragt hatte festzustellen, dass ihr Arbeitsverhältnis wegen Vorliegens einer Schwangerschaft durch die streitgegenständliche Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst wurde, gegen das die Klage abweisende Urteil des LAG war im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung erfolgreich.
Das BAG sieht sich mit der von ihm vorgenommenen Auslegung im Einklang mit dem Unionsrecht (Rl 92/85/EWG v. 19.10.1992 – Mutterschutzrichtlinie) und mit dem Verfassungsrecht Art. 6 Abs. 4 GG. Das Gericht hebt hervor, bei der Bestimmung des Termins für das Eingreifen des Kündigungsverbots geht es nicht um die Festlegung des tatsächlichen – naturwissenschaftlichen – Beginns der Schwangerschaft im konkreten Fall, sondern um eine Berechnungsmethode der prognostische Elemente innewohnen. Hierbei ist vom frühestmöglichen Zeitpunkt des Vorliegens einer Schwangerschaft auszugehen, um die Sicherheit und den Schutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen umfassend zu gewährleisten.
Das BAG konnte nicht gem. § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden (was nach dieser Vorschrift nur möglich ist, wenn die Aufhebung des Urteils lediglich wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Entscheidung reif ist), da das LAG keine Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 S. 2 MuSchG getroffen hatte:
Dem Beklagten war zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Schwangerschaft nicht bekannt, er wurde hiervon auch nicht innerhalb von zwei Wochen unterrichtet, wie es Satz 1 der Vorschrift fordert. § 17 Abs. 1 S. 2 MuSchG bestimmt: Das Überschreiten dieser Frist ist unschädlich, wenn die Überschreitung
- auf einem von der Frau nicht zu vertretenden Grund beruht und
- die Mitteilung unverzüglich (s. § 121 As. 1 S. 1 BGB: ohne schuldhaftes Zögern) nachgeholt wird.
Zu vertreten ist die Fristüberschreitung nur dann, so das BAG, wenn sie auf einem gröblichen Verstoß gegen das von einem ordentlichen und verständigen Menschen im Eigeninteresse zu erwartenden Verhalten zurückzuführen ist, was der Fall ist, wenn die Arbeitnehmerin die rechtzeitige Mitteilung der Schwangerschaft innerhalb der Zweiwochenfrist unterlässt, obwohl sie die Schwangerschaft kennt, oder wenn zwar noch keine positive Kenntnis besteht, aber gleichwohl zwingende Anhaltspunkte gegeben sind, die das Vorliegen einer Schwangerschaft praktisch unabweisbar erscheinen lassen. Nicht ausreichend ist aber regelmäßig das Untätigsein beim Vorliegen einer bloßen, mehr oder weniger vagen Schwangerschaftsvermutung.
Die Klägerin hatte vorliegend behauptet, erst am 26.11.2020, also mehr als zwei Wochen nach Zugang der Kündigung am 7.11.2020, aufgrund der ärztlichen Mitteilung Kenntnis von ihrer Schwangerschaft gehabt zu haben. Nach den Feststellungen des LAG muss sich die Klägerin spätestens am 2.12.2020 an ihren Prozessbevollmächtigten gewandt haben, der mit Schriftsatz von diesem Tag, der am Folgetag beim Arbeitsgericht einging, die Schwangerschaft mitteilte. Das BAG hält dies noch für unverzüglich i.S.v. § 17 Abs. 1 S. 2 MuSchG. Ob es bei der Weiterleitung der Mitteilung durch den Anwalt zu schuldhaften Verzögerungen kam, ist schon deshalb rechtlich ohne Bedeutung, weil nach der Rechtsprechung des BAG eine Zurechnung des Verschuldens Dritter bei der Schwangerschaftsmitteilung nach § 278 BGB oder § 85 Abs. 2 ZPO nicht erfolgt (s. näher Rn 42 ff. der ak...