1. Fünfmonatsfrist zur Absetzung des Berufungsurteils
Gemäß § 72b Abs. 1 S. 1 ArbGG kann das Urteil eines LAG durch sofortige Beschwerde angefochten werden, wenn es nicht
- binnen fünf Monaten nach der Verkündung vollständig abgefasst
- und mit den Unterschriften sämtlicher Mitglieder der Kammer versehen
- der Geschäftsstelle übergeben worden ist.
Die sofortige Beschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat einzulegen und zu begründen; die Frist beginnt mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils (§ 72b Abs. 2 ArbGG). In dem vom BAG zu entscheidenden Fall (Beschl. v. 15. 9 2022 – 10 AZB 11/22, NJW 2022, 3732) ist das Urteil des LAG am 5.1.2022 verkündet worden. In der Verfahrensakte ist lediglich eine Verfügung und ein Abvermerk vom 8.6.2022 enthalten, dem zu entnehmen ist, dass an diesem Tag Urteilsabschriften an die Parteien abgesandt wurden. Ob das vollständige Urteil an diesem Tag oder am Vortag (7.6.2022) zur Geschäftsstelle gelangte, lässt sich der Akte nicht entnehmen.
Selbst wenn das vollständig abgefasste, unterschriebene Urteil schon am 7.6.2022 an die Geschäftsstelle gelangt sein sollte, wäre die Fünfmonatsfrist nicht gewahrt. Diese endete am 5.6.2022, obwohl dies ein Sonntag und der 6.6.2022 ein Feiertag (Pfingstmontag) war. Die Vorschrift des § 222 Abs. 2 ZPO, die bestimmt, dass dann, wenn das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend fällt, die Frist erst mit Ablauf des nächsten Werktags endet, ist, so das BAG, auf die Fünfmonatsfrist des § 72b ArbGG nicht anwendbar. Es handele sich bei dieser Frist hierbei um eine starre, sog. uneigentliche Frist, die den Zeitraum, der für die nachträgliche Niederlegung der schriftlichen Urteilsgründe äußerstenfalls zur Verfügung steht, strikt limitiert (so bereits BAG NJW 2000, 2835). Damit würde sich die Anwendung von § 222 Abs. 2 ZPO nicht vertragen. Das Gericht begründet dies näher mit Sinn und Zweck der Vorschrift und verweist ferner ergänzend auf die Entstehungsgeschichte der Norm.
Demnach war die vorliegend von der Beklagten eingelegte, zulässige Beschwerde auch begründet, da bis zum Ablauf der Fünfmonatsfrist kein vollständig abgefasstes, mit den Unterschriften sämtlicher Mitglieder der Kammer versehenes Urteil bei der Geschäftsstelle des LAG vorlag. Das Berufungsurteil wurde demnach aufgehoben und der Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen.
2. Anforderungen an elektronisch eingereichte Schriftsätze – Kündigungsschutzklage
Die Parteien streiten über die fristgerechte Einreichung einer Kündigungsschutzklage durch ihren damaligen Prozessbevollmächtigten bei vorübergehender Störung von Versand und Empfang über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA).
Die streitbefangene Kündigung war am 26.2.2020 zugegangen. Gemäß § 4 S. 1 KSchG hätte eine wirksame Klage bis spätestens zum 18.3.2020 beim zuständigen ArbG Lübeck eingereicht werden müssen. Die Klägerin hat am 17.3.2020 mittels Telefax Kündigungsschutzklage erheben lassen, da der Versand/Empfang über das beA vorübergehend technisch gestört war. In Schleswig-Holstein war das Inkrafttreten des § 46g ArbGG (vgl. etwa auch § 130d ZPO, § 65d SGG, § 32d StPO) – nach S. 1 Pflicht für (u.a.) Rechtsanwälte zur Übermittlung der dort genannten Schriftstücke als elektronische Dokumente – bereits mit Wirkung ab dem 1.1.2020 angeordnet.
Am 18.3.2020 erhielt der frühere Prozessbevollmächtigte (künftig: Prozessbevollmächtigte) der Klägerin vom ArbG den Hinweis, dass die per Telefax eingereichte Klage unzulässig sein könnte, wonach dieser am gleichen Tag eine weitere Klageschrift im Dateiformat docx (im Folgenden: Word-Datei) einreichte. Der zuständige Vorsitzende Richter erhielt von diesem Schriftsatz erst am 27.3.2020 Kenntnis und informierte mit Verfügung vom selben Tag darüber, die nunmehr elektronisch eingegangene Klage dürfte ebenfalls unzulässig sein, weil die Übermittlung nicht in dem zugelassenen Dateiformat PDF erfolgt sei. Gleichzeitig wies er unter Wiedergabe des Wortlauts von § 46c Abs. 6 S. 2 ArbGG auf die Heilungsmöglichkeit nach dieser Norm hin, wobei das Schreiben dem Prozessbevollmächtigten um 12.22 Uhr zugesandt wurde. Dieser übermittelte am gleichen Tag auf elektronischem Wege im Dateiformat PDF eine weitere Klageschrift, die um 17.37 Uhr beim ArbG einging. Eine Glaubhaftmachung (s. § 294 Abs. 1 ZPO, Hinweise zu den insoweit geringen Anforderungen bei Müller, NZA 2023, 89, 92) der inhaltlichen Übereinstimmung dieser Klageschrift mit der am 18.3.2020 eingereichten erfolgte nicht. Nach einem erneuten Hinweis des ArbG, auch die elektronisch eingegangene Klage vom 27.3.2020 dürfte unzulässig sein, weil die Datei nicht eingebettete Schriftarten enthalte, reichte der Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 31.3.2020 eine weitere Klageschrift ein, die am 1.4.2020 einging. Am selben Tag wies er in einem elektronisch übermittelten Schriftsatz im Dateiformat PDF auf die technische Störung beim Versand über das beA am 17.3.2020 hin und bezog sich zu deren Glaubhaftmachung auf einen beigefügten Screenshot der Webseite der Bundesrechtsanwaltskammer.
Das BAG entschied, dass die Fri...