Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Regelung hybrider und virtueller Versammlungen der Anwalts- und Notarkammern und zur Änderung weiterer berufsrechtlicher Vorschriften war im April Gegenstand einer Expertenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages. Während Teile des Vorhabens auf nahezu einhellige Zustimmung bei den eingeladenen Sachverständigen stießen, gab es teilweise heftige Kritik an anderen geplanten Berufsrechtsänderungen.
Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf beabsichtigt, den regionalen Rechtsanwalts- und Notarkammern, der Bundesrechtsanwaltskammer, der Bundesnotarkammer, der Patentanwaltskammer sowie der Bundessteuerberaterkammer dauerhaft die Möglichkeit einzuräumen, Versammlungen in hybrider oder virtueller Form abzuhalten. Pandemiebedingte Sonderregelungen sahen dies bereits temporär vor; nunmehr soll eine dauerhafte Rechtsgrundlage geschaffen werden. Der Entwurf enthält zudem weitere Änderungen im anwaltlichen Berufsrecht, welche die nicht-anwaltlichen Mitglieder von Berufsausübungsgesellschaften sowie die Aufsicht über anwaltliche Sammelanderkonten betreffen.
Die vorgesehene Befugnis für die Kammern, Versammlungen künftig regulär auch in virtueller oder hybrider Form abhalten zu können, wurde von allen Sachverständigen im Grundsatz begrüßt. Dies biete – gerade nach den Erfahrungen in der Pandemie – mehr Flexibilität und diene der Sicherung der demokratischen Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, bekräftigten die Vertreter mehrerer Kammern. Lediglich in den Details gab es einige Differenzen: Während teilweise davor gewarnt wurde, die Präsenzversammlungen zu stark zurückzudrängen, gingen einem Sachverständigen die geplanten Ausnahmen bereits zu weit; er riet zu einem vollständigen Verzicht auf die Möglichkeit, bestimmte Gegenstände den Präsenzversammlungen vorzubehalten.
Teilweise kritisch gesehen wurde der Teil des Gesetzentwurfs, der die nicht-anwaltlichen Mitglieder von Geschäftsführungs- und Aufsichtsorganen von Berufsausübungsgesellschaften betrifft und der unter Umständen zu einer Mitgliedschaft in mehreren Kammern führen würde. Nach Auffassung des Vertreters der Bundesrechtsanwaltskammer wäre eine weitere Mitgliedschaft eines Gesellschafters in einer Rechtsanwaltskammer nur dann erforderlich, wenn nicht bereits eine anderweitige Mitgliedschaft in einer Berufskammer besteht, die eine vergleichbare Berufsaufsicht gewährleistet, so wie etwa bei Steuerberatern, Patentanwälten und Wirtschaftsprüfern. Den zur Vermeidung einer mehrfachen Kammermitgliedschaft gemachten Vorschlag, eine Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis auf die Ausübung des eigenen freien Berufs vorzusehen, befand der Experte als „praxisuntauglich”; er würde bei den Kammern zu einem erheblichen Mehraufwand führen, da diese stets die Gesellschaftsverträge zu prüfen hätten. Für „unnötig” befand die geplante Regelung auch der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Patentanwälte (BDPA). Eine Kammermitgliedschaft in der Patent- bzw. der Rechtsanwaltskammer für Mitglieder des Geschäftsführungs- und Aufsichtsorgans von Berufsausübungsgesellschaften, unabhängig davon, ob diese bereits als Person bzw. Berufsträger Mitglied einer anderen Kammer seien, gehe zu weit, denn das Erfordernis einer ausreichenden Berufsaufsicht sei in solchen Fällen bereits erfüllt.
Kontrovers unter den Sachverständigen diskutiert wurde der Teil des Vorhabens, der die Einführung einer anlassunabhängigen Überprüfung von anwaltlichen Sammelanderkonten zum Gegenstand hat. Ein Ergänzungsantrag zum Gesetzentwurf sieht hier einen neuen § 73a BRAO vor, demzufolge die Kammern die anwaltlichen Pflichten bei der Führung von Sammelanderkonten nach § 43a Abs. 7 BRAO i.V.m. § 4 BORA künftig anlasslos und risikobasiert zu prüfen haben. Der Vertreter der BRAK und weitere Sachverständige forderten den vollständigen Verzicht auf solche Kontrollen; sie seien aus rechtsstaatlichen und praktischen Gesichtspunkten unverhältnismäßig und von einem „Misstrauen gegenüber Anwälten” getragen. Ein Professor von der Universität zu Köln wies darauf hin, dass mit der Einführung einer solchen anlasslosen Überwachung der Berufspflichten das anwaltliche Berufsgeheimnis weiter relativiert und erheblicher zusätzlicher Verwaltungsaufwand für die Kammern ausgelöst werde. Die Neuregelung rechtfertige sich in Abhängigkeit davon, in welchem Umfang Sammelanderkonten in der Praxis zu (grenzüberschreitenden) Steuergestaltungen genutzt würden; hierzu fehle es derzeit aber an Evidenzen. Der Vertreter des DAV bewertete die Regelung trotz einiger Bedenken noch als verhältnismäßig; er verwies auf die in der Vergangenheit aufgetretenen Probleme mit den Anderkonten (vgl. hierzu zuletzt ZAP 2023, 54 u. 519) und stufte die vorgesehenen Kontrollen als kleineres Übel ein, das im Interesse der Geldwäscheprävention hingenommen werden könne.
[Quelle: Bundestag]