Der derzeit vorliegende Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Tarifeinheit (vgl. dazu zuletzt ZAP Anwaltsmagazin 2/2015, S. 52) sollte noch nicht das letzte Wort zu diesem Thema sein. Dafür plädierte die Mehrheit der Sachverständigen Anfang Mai bei einer öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales.
Für das Gesetz sprachen sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) aus. DGB-Chef Reiner Hoffmann bezeichnete den Entwurf als "Chance, die Kooperation der Gewerkschaften zu stärken". Ohne eine gesetzlich fixierte Tarifeinheit sei zu befürchten, dass sich die Tariflandschaft durch den wirtschaftlichen Strukturwandel, insbesondere das Outsourcing bestimmter Arbeitsbereiche, weiter zersplittere, begründete Hoffmann die Haltung des DGB. Reinhard Göhner von der BDA argumentierte ähnlich: Das Gesetz sei notwendig, denn Tarifkollisionen stellten viele Betriebe vor große praktische Probleme und müssten deshalb "aufgelöst" werden.
Für das Tarifeinheitsgesetz sprach sich auch Hans-Jürgen Papier, der ehemalige Präsident des BVerfG, aus: Der Gesetzgeber habe die Pflicht, die durch das Grundgesetz garantierte Koalitionsfreiheit gesetzgeberisch auszugestalten, da die Tarifautonomie ein normgeprägtes und zweckgebundenes Grundrecht sei. Der Gesetzesentwurf zur Auflösung von Tarifkollisionen sei kein Eingriff in die Koalitionsfreiheit im "engeren verfassungsrechtlichen Sinne", sondern eine Ausgestaltung des Tarifvertragssystems, sagte Papier.
Zu einem durchwachsenen Urteil kam Gregor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn. Er sprach sich zwar grundsätzlich für das Ziel aus, die Zersplitterung der Tariflandschaft aufhalten zu wollen. Jedoch äußerte er in einigen Punkten deutliche Zweifel an den gewählten Mitteln. So bezeichnete Thüsing einige "Sicherungsmittel", die die Verfassungskonformität des Entwurfs gewährleisten sollen, als "absurd". Ein einklagbares Recht der Minderheitsgewerkschaft, ihre Forderungen mündlich vortragen zu dürfen sei genauso funktionslos wie das Recht einer Gewerkschaft, den von ihr nicht mit beeinflussten Tarifvertrag einer Konkurrenzgewerkschaft nachzuzeichnen.
Am deutlichsten äußerten der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler und Gerhart Baum, ehemaliger Bundesinnenminister, ihre Kritik. So verwies Däubler darauf, dass die Arbeitgeberseite künftig durch legale Maßnahmen die Struktur der Arbeitnehmerseite so beeinflussen könne, dass die von ihr geschätzte Gewerkschaft die Mehrheit im Betrieb habe. Das greife aber in die Unabhängigkeit der Gewerkschaften ein und lasse sich nicht mit dem Grundgesetz vereinbaren, sagte Däubler. Außerdem sei es fraglich, wie festgestellt werden solle, welche Gewerkschaft die Mehrheitsgewerkschaft sei. Noch sei unklar, welche Arbeitnehmer als betriebszugehörig gezählt würden, was mit den "Karteileichen" geschehe oder mit jenen, die sich weigerten, ihre Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft offenzulegen. Zur Seite sprang ihm in dieser Auffassung Gerhart Baum, der den Entwurf als Eingriff in das Streikrecht und deshalb als nicht verfassungskonform bezeichnete und ankündigte, nach seinem Inkrafttreten vor dem Bundesverfassungsgericht Klage einzureichen. Er kritisierte, dass das mehrheitlich bestehende gute Kooperationsklima zwischen den Tarifpartnern durch das geplante Gesetz gestört werde und die Gefahr bestehe, dass die Öffentlichkeit allgemein gegen das Streikrecht mobilisiert werden soll.
Kritisch zu den im Entwurf festgelegten Verfahrensregeln äußerte sich auch Joachim Vetter vom Bund der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit. So sei der Entwurf u.a. deshalb enttäuschend, weil er keine Regelungen zum Arbeitskampfrecht enthalte. Klarstellungen seien hier dringend nötig. Als schwierig bezeichnete er es auch, festzustellen, welche Gewerkschaft die meisten Mitglieder in einem Betrieb habe. Dies könne mittels einer einstweiligen Verfügung gar nicht festgestellt werden, weshalb sich Gerichte gar nicht ins Streikrecht einmischen könnten.
[Quelle: Bundestag]