*3.4.1927 †3.10.2014
Der Grandseigneur des Zivilprozessrechts, Dr. Egon Schneider, ist am 3.10.2014 im Alter von 87 Jahren verstorben. Wir haben mit ihm nicht nur den Gründer dieser Zeitschrift, der ZAP, sondern einen der bedeutendsten Juristen der letzten Jahrzehnte verloren. Sein unabhängiger und kritischer Geist hat das deutsche Rechtsleben seit etwa 60 Jahren bereichert. Das gilt nicht nur für tausende von Aufsätzen und unzählige bedeutende juristische Werke. Wir können sie nicht aufzählen.
Beispielhaft erwähnt sei nur "Logik für Juristen", "Recht und Gesetz", "Die Welt der Juristen", "Befangenheitsablehnung im Zivilprozess" oder die "Klage im Zivilprozess", die er meiner Frau, meiner Schwägerin und mir gewidmet hat.
Bereichert hat Egon Schneider auch Generationen von Lesern: Er hat Laien und Juristen immer wieder mit seinen klaren Gedanken in die Denkweise der Juristen und den Gegenstand der Jurisprudenz eingeführt, die verbreitete Scheinwissenschaftlichkeit der Jurisprudenz entlarvt und das "Vorverständnis" der Juristen deutlich gemacht, von dem sich kein Rechtsanwender befreien kann, dessen er sich aber – das hat Schneider klar gemacht – für eine nachvollziehbare Rechtsanwendung stets bewusst sein sollte. Zu Schneiders Vorverständnis und seiner Grundhaltung gehörten Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit im Denken und Handeln. Seine Darstellungen sind geprägt von einem unerbittlich klaren und knappen Stil ("Sätze müssen knallen wie Schüsse"). Friedrich Nietzsche hat ihm viel bedeutet. In einem der zahlreichen philosophischen Bücher, die er mir geschenkt hat ("Die fröhliche Wissenschaft"), hat er Nr. 173 angekreuzt:
Zitat
Tief sein und tief scheinen – wer sich tief weiß, bemüht sich um Klarheit; wer der Menge tief scheinen möchte, bemüht sich um Dunkelheit.
Mit seinem erfrischend klaren Stil hat er sich stets an diese Vorgabe gehalten. Es gab bei ihm kein vages Umschreiben des "Einerseits" und "Andererseits". Die aufgeplusterte Inhaltsleere zahlreicher, sich wissenschaftlich gebender juristisch verklausulierter Texte hat er oft gebrandmarkt.
Mit seinen Werken greift Schneider weit über die engere Dogmatik des Rechts hinaus. Er öffnet Bereiche, die gewöhnlich dem Juristen verschlossen bleiben, z.B. in der Aussage- und Beweiswürdigungslehre, der Psychologie, der Soziologie und der Philosophie.
Es kommt nicht von ungefähr, dass Egon Schneider, ohne dass er sich je darum bemüht hätte, seit Jahrzehnten eine Schar von inzwischen älter gewordenen Juristen nicht nur seine Schüler, sondern auch seine "Jünger" nennen kann. Wer mit ihm zu tun hatte, war und blieb tief beeindruckt von seinem klaren Denken, seinem Können und seiner liebenswürdigen Menschlichkeit.
Mich hat bereits im Studium Mitte der 60iger Jahre seine "Logik für Juristen" außerordentlich fasziniert. Eines Tages habe ich ihn einfach zu Hause in Much/Niederheimbach angerufen und gefragt, ob ich ihn kennenlernen dürfte. Er war sofort dazu bereit. Seitdem unterhielten wir engen Kontakt. Ich bin stolz darauf, dass er mir schon nach kurzen Begegnungen das "Du" anbot und erklärte, das habe er seit Jahrzehnten sonst niemals gemacht. Seitdem zählen meine Frau, meine Schwägerin und ich zu seinem engen Freundeskreis. ("Meine Freunde nennen mich Fiz, Fize meines Kalibers schreiben sich ohne ’t‘.").
Seine Richterlaufbahn begann und beendete er in Köln, zuerst beim Landgericht und dann beim Oberlandesgericht. Trotz herausragender Noten und Beurteilungen hat er auf den Vorsitz eines Senats beim Oberlandesgericht bewusst verzichtet. Er befürchtete, dass die herausgehobene Position seine nachhaltige Justizkritik (beispielsweise im "Justizspiegel") erschweren könnte. Alle Kollegen haben ihn als großen Richter, Rechtslehrer und außergewöhnlichen juristischen Schriftsteller in Erinnerung. Jeder Jurist kennt ihn als den Grandseigneur des Zivilprozessrechts. Einige seiner Schüler [Altmeppen, Becker-Eberhard, Dauner-Lieb und Reichard] schreiben in der ZAP, Sonderheft für Dr. Egon Schneider 2002:
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Das untrennbare Amalgam von Wissenschaft und Praxis, von Empirie und Dogmatik, das Prozessualistik seit jeher ausmacht, verkörpert er wie wohl kein anderer. ... In vielen seiner mehreren tausend Aufsätze und in etlichen seiner Bücher, zu denen neben der soeben erschienenen ’ZPO-Reform‘ (2002) Klassiker wie ’Beweis und Beweiswürdigung‘ (5. Aufl. 1994), der ’Streitwert-Kommentar für den Zivilprozeß‘ (11. Aufl. 1996), ’Der Zivilrechtsfall in Prüfung und Praxis‘ (7. Aufl. 1988) und der von der 12. bis zur 18. Auflage (1993) von ihm mitverfasste und geprägte Zöllersche Kommentar zur Zivilprozeßordnung gehören, ist der Jubilar zugleich Lehrer, Lehrer im hohen Sinne dessen, der durch Wissenschaft bildet. ... Der Umfang seines Œuvres übertrifft seit Langem dasjenige der meisten Nurwissenschaftler um Stadien.
Wir alle verlieren einen der bedeutendsten Juristen der letzten Jahrzehnte, einen Lehrer, der Generationen von Juristen nicht nur ausgebildet, sondern in ihrem kritischen und niemals autor...