Leitsätze des Bearbeiters:
- Auch nicht behinderten Beamten muss ein betriebliches Eingliederungsmanagement gem. § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX angeboten werden.
- Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist aber keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit.
- Nach erfolgloser Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements liegen regelmäßig hinreichende Anhaltspunkte für eine ärztliche Untersuchung des Beamten auf eine mögliche Dienstunfähigkeit vor.
BVerwG, Urt. v. 5.6.2014 – 2 C 22.13, ZAP EN-Nr. 635/2014 = NVwZ 2014, 1319
Bearbeiter: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Martin Brilla, Aachen
I Einführung
a) Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ist in § 84 Abs. 2 SGB IX geregelt. Danach hat der Arbeitgeber bei einem Beschäftigten, der innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig gewesen ist, mit der zuständigen Interessenvertretung und mit Zustimmung der betroffenen Person die Möglichkeiten zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Trotz ihrer systematischen Stellung in Teil 2 des SGB IX gilt diese Norm auch für nicht behinderte Beschäftigte (BAG, Urt. v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, Rn. 37, DB 2008, 189).
Die Durchführung eines BEM ist an die Zustimmung des Betroffenen geknüpft, denn Wiedereingliederungsbemühungen ohne oder gar gegen den Willen des Betroffenen sind von vornherein zum Scheitern verurteilt (BVerwG, Beschl. v. 23.6.2010 – 6 P 8.09, Rn. 40, NZA-RR 2010, 554). Außerdem kann ohne Kenntnis der Ursachen der Krankheit und ihrer einzelnen Wirkungen eine Klärung alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten nicht erfolgen (BVerwG, Urt. v. 5.6.2014 – 2 C 22.13, Rn. 43, NVwZ 2014, 1319). Bislang war jedoch umstritten, ob ein BEM auch bei Beamten durchzuführen ist.
b) Die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand nach § 44 Abs. 1 S. 1 BBG (bzw. § 26 BeamtStG bei Landesbeamten) erfolgt, wenn ein Beamter wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung der Dienstpflichten als dauernd unfähig anzusehen ist und auch eine anderweitige oder zeitlich begrenzte Verwendung des Beamten nicht in Betracht kommt.
Dieser Begriff der Dienstunfähigkeit ist amtsbezogen (vgl. § 44 Abs. 2 S. 1 BBG: "anderes Amt"), knüpft also an den Aufgabenkreis an, der dem Inhaber des jeweiligen Statusamtes bei einer bestimmten Behörde auf Dauer zugewiesen ist (Amt im abstrakt-funktionellen Sinn: BVerwG, Urt. v. 22.6.2006 – 2 C 26.05, Rn. 11, NVwZ 2007, 101).
Im Gegensatz zur Fragestellung im BEM kommt es im Rahmen des Zurruhesetzungsverfahrens nicht entscheidend darauf an, ob der Beamte die Aufgaben des von ihm zuletzt wahrgenommenen Dienstpostens (Amt im konkret-funktionellen Sinn) erfüllen kann (BVerwG, Urt. v. 26.3.2009 – 2 C 73.08, Rn. 14, NVwZ 2009, 1311). Dienstunfähigkeit setzt vielmehr voraus, dass bei der Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur Verfügung steht, der dem statusrechtlichen Amt des Beamten zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet ist (st. Rspr. des BVerwG, vgl. Urt. v. 30.8.2012 – 2 C 82.10, Rn. 11, NVwZ-RR 2012, 928).
Bei Zweifeln an der Dienstfähigkeit eines Beamten sind diese von der Behörde aufzuklären, wobei die ärztliche Untersuchung gem. § 44 Abs. 6 BBG im Mittelpunkt steht; eine Einwilligung des Betroffenen ist nicht erforderlich. Eine Weigerung des Beamten, einer ordnungsgemäßen Untersuchungsanordnung (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 30.5.2013 – 2 C 68.11, Rn. 19 ff., NVwZ 2013, 1619) Folge zu leisten, kann nach dem aus § 444 ZPO abgeleiteten allgemeinen Rechtsgrundsatz zu seinem Nachteil gewertet werden. Hat ein Beamter durch sein Verhalten die Feststellung seines Gesundheitszustandes bewusst verhindert, kann im Rahmen freier Beweiswürdigung auf die Dienstunfähigkeit geschlossen werden (BVerwG, Urt. v. 26.4.2012 – 2 C 17.10, Rn. 12, NVwZ 2012, 1483).
Im Rahmen der Untersuchung müssen die gesundheitsbedingten Leistungsbeeinträchtigungen festgestellt und deren prognostische Entwicklung bewertet werden. Wegen der dafür regelmäßig erforderlichen besonderen medizinischen Sachkunde, über die nur ein Arzt verfügt, sieht § 47 Abs. 1 S. 1 BBG vor, dass die Einschätzung des Dienstherrn auf ein ärztliches Gutachten gestützt sein muss. Insofern bestimmt § 48 Abs. 1 S. 1 BBG, das die ärztliche Untersuchung nur einem Amtsarzt oder einem Arzt, der als Gutachter zugelassen ist, übertragen werden kann.
Die Entscheidungsverantwortung für die Beurteilung der Dienstfähigkeit liegt allerdings beim Dienstherrn: Dieser muss die ärztlichen Befunde und Schlussfolgerungen nachvollziehen und sich auf ihrer Grundlage ein eigenes Urteil bilden (BVerwG, Urt. v. 25.7.2013 – 2 C 12.11, Rn. 11 ff., NVwZ 2014, 300). Dies gilt auch und gerade für die Frage, welche Folgen sich aus den ärztlich festgestellten Leistungseinschränkungen für die amtsbezogenen Dien...