1. Umfang des Versicherungsschutzes bei betrieblichen Veranstaltungen
In ZAP F. 18, S. 1509 ff. ist über verschiedene Entscheidungen des BSG im zweiten Halbjahr 2016 zum Umfang des Versicherungsschutzes bei Unfällen berichtet worden. Das BSG hat seine Grundsätze in einer neueren Entscheidung vom 30.3.2017 (Urt. v. B 2 U 15/15 R, NZS 2017, 625 m. Anm. Kainz) bestätigt.
Für den Schutz der Beschäftigtenversicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII ist Voraussetzung, dass eine versicherte Tätigkeit als Beschäftigter vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn die Verletzten zur Erfüllung eines von ihnen begründeten Rechtsverhältnisses, insbesondere eines Arbeitsverhältnisses, eine eigene Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen (vgl. § 7 Abs. 1 SGB IV) zu dem Zweck verrichten, dass die Ergebnisse dessen Verrichtung dienen und nicht ihnen selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen.
In dem entschiedenen Fall war der Verletzte am 7.9.2006 als Außendienstmitarbeiter in der Vertriebsdirektion beschäftigt, für welche die Arbeitgeberin an einem sog. Tag des Vertriebs ein Kfz-Sicherheitstraining durchführte. Ebenfalls auf Einladung der Arbeitgeberin beteiligte er sich an der anschließenden Abendveranstaltung im Tagungslokal. Nach der Vorstellung von Ergebnissen einer Mitarbeiterbefragung fand bis kurz vor Mitternacht ein gemeinsames Abendessen statt. Ein weiteres geselliges Beisammensein nach dem Abendessen war in der Einladung nicht vorgesehen. Im Anschluss an das Abendessen begaben sich der Kläger sowie weitere Führungskräfte und Mitarbeiter, die im Tagungshotel übernachteten, in die Hotelbar. Für 25 Mitarbeiter waren im Hotel Zimmer reserviert worden, wobei die Außendienstmitarbeiter die Unterbringungskosten über die Reisekosten abrechnen konnten. Der Leiter der Vertriebsdirektion fuhr nach Hause, ohne zuvor andere Beschäftigte mit der Durchführung des Ausgangs zu beauftragen; er hatte diesen Teil des Abends auch weder informell initiiert, noch angeregt oder organisiert.
Im späteren Verlauf des Abends stürzte der Kläger auf einer Treppe, die zu den Toiletten führte. Er wurde bewusstlos am Ende der Treppe aufgefunden, die nur auf der linken Seite einen Handlauf aufwies und besonders steil war. Die später durchgeführte Blutprobe ergab einen Blutalkoholgehalt von 2,5 ‰. Aufgrund der erfolgten Hirnschädigung leidet der Kläger seitdem an einem apallischen Syndrom.
Das BSG billigte das die Klage – die beim SG erfolgreich, jedoch "nur" gerichtet war auf Feststellung, dass es sich bei dem Ereignis vom 7.9.2006 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat (s. hierzu unten "Hinweis") – abweisende Urteil der Berufungsinstanz. Mit den Gesprächen im Kollegenkreis nach Abschluss der Abendveranstaltung erfüllte der Verletzte zu dieser Zeit an diesem Ort keine von der Arbeitgeberin erzwingbare Haupt- oder Nebenpflicht aus seinem Arbeitsverhältnis als Außendienstmitarbeiter. Wenn auch die Gespräche der Pflege kollegialer Beziehungen und der Förderung eines angenehmen Betriebsklimas dienten, woran sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer allgemein interessiert sind, genügt dies nach Auffassung des BSG allein nicht, um entsprechende Gespräche dem versicherungsrechtlich geschützten Bereich zuzurechnen. Die Grenze verläuft bei Besprechungen oder sonstigen Zusammenkünften dort, wo die arbeitsvertragliche Haupt- oder Nebenpflicht zur Teilnahme an einem Gespräch, Arbeits- oder Gemeinschaftsessen endet und der informelle kollegiale Austausch beginnt. Die Abgrenzung könne zwar im Einzelfall schwierig sein, wenn der Übergang vom dienstlichen Gespräch zum späteren kollegialen Austausch fließend ist und keine deutliche Zäsur erfolgte. Im vorliegenden Fall bewirkte nach Auffassung des Gerichts die Beendigung des gemeinsamen Abendessens und der damit beendete "Tag des Vertriebs" die Abreise mehrerer Teilnehmer einschließlich des Abteilungsleiters und der Übergang in die Bar eine deutliche Zäsur.
Bei dem später durchgeführten "Ausklang" handele es sich auch nicht um eine im Schutzbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII liegende betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung. Es fehlt hier bereits an dem Erfordernis, dass eine solche Veranstaltung "im Einvernehmen" mit der Unternehmensleitung (s. hierzu ZAP F. 18, S. 1503 ff., 1509 f.) stattfinden muss: Der Ausklang war weder im Veranstaltungsprogramm noch in den Einladungsschreiben erwähnt. Schließlich stand der Verletzte auch nicht deshalb unter Versicherungsschutz, weil er durch die Umstände einer Dienstreise besonderen Gefahren ausgesetzt war, die ihm während seines normalen Verweilens am Wohn- oder Beschäftigungsort nicht begegnet wären (s. hierzu BSG, Urt. v. 18.3.2008 – B 2 U 13/07 R; Merten jurisPR-SozR 17/2008, Anm. 2). Soweit die Treppe zur Toilette besonders steil und mit nur einem Handlauf versehen gewesen war, bestand beim Begehen dieser Treppe kein innerer Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, weil sich der Verletzte den damit verbundenen Risiken und Gefahren freiwillig ausgesetzt hat. Er hätte sich ohne Weiteres diesen Gefahren dadurch entziehen kön...