I. Vorbemerkung
Das Steueränderungsgesetz 2015 beendete die jahrelange Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Umsatzbesteuerung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts und passte das Umsatzsteuergesetz an das EU-Recht an. Tätigkeiten, die sich bisher im Rahmen der (steuerlich unbeachtlichen) Vermögensverwaltung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts bewegten, können nunmehr zu einer Steuerpflicht führen.
Sofern die juristische Person des öffentlichen Rechts aufgrund der gesetzlichen Neuregelung jetzt als Unternehmerin zu behandeln ist, ergeben sich für deren gesetzliche Vertreter und Justiziare auch neue Verpflichtungen. Nach Einschätzung der kommunalen Spitzenverbände führt die gesetzliche Neuregelung zu einer erheblichen administrativen und finanziellen Mehrbelastung.
Die juristische Person des öffentlichen Rechts muss u.a. ihre Tätigkeiten auf steuerpflichtige Vorgänge überprüfen, beim Finanzamt eine Steuernummer und USt-Identifikationsnummer für innergemeinschaftliche Erwerbe beantragen, etwaige Steuerbefreiungstatbestände gem. § 4 UStG ermitteln, Jahressteuererklärungen und monatliche Umsatzsteuer-Voranmeldungen erstellen und im Falle einer Steuerschuldnerschaft für bestimmte, an sie im Inland ausgeführte steuerpflichtige Umsätze die Umsatzsteuer gem. § 13b UStG einbehalten und an das Finanzamt abführen, die Haushaltsplanungen hinsichtlich abzuführender Umsatzsteuerbeträge, aber auch zu erwartender Vorsteuererstattungen vom Finanzamt ändern, ihre Mitarbeiter entsprechend schulen sowie bestehende und noch abzuschließende Verträge hinsichtlich des Umsatzsteuer-Ausweises überprüfen und ggf. ändern.
Nicht zuletzt ergeben sich Änderungen hinsichtlich der Umsatzsteuer und des Leistungsortes gem. § 3a UStG auch für einen leistenden Unternehmer im In- und Ausland, soweit es um Verträge mit juristischen Personen des öffentlichen Rechts geht.
Hierfür bedarf es der Hilfestellung durch fachkundige Rechtsberater.
II. Rechtslage vor 2017 (§ 2 Abs. 3 UStG a.F.)
Nach § 2 Abs. 3 S. 1 UStG a.F. waren juristische Personen des öffentlichen Rechts nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§§ 1 Abs. 1 Nr. 6; 4 KStG) und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig. Die Gesamtheit aller Betriebe gewerblicher Art und aller land- und forstwirtschaftlichen Betriebe stellte das Unternehmen der juristischen Person des öffentlichen Rechts dar (vgl. BFH v. 18.8.1988 – V R 194/83, BStBl II 1988, S. 932).
Nur die in diesen Betrieben und Tätigkeitsbereichen ausgeführten Umsätze unterlagen der Umsatzsteuer. Andere Leistungen waren nicht steuerbar, auch wenn sie nicht in Ausübung öffentlicher Gewalt bewirkt wurden, es sei denn, die Behandlung als nichtsteuerbar hätte zu größeren Wettbewerbsverzerrungen geführt (vgl. BFH v. 11.6.1997 – XI R 33/94, BStBl II 1999, S. 418).
Daneben galten zudem die in § 2 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 bis 5 UStG a.F. bezeichneten Tätigkeitsbereiche als unternehmerische Tätigkeiten im Sinne des Gesetzes.
Hinweis:
Die Anwendung von § 2 Abs. 3 UStG a.F. führte zu erheblichen Rechtsunsicherheiten und Streitigkeiten mit der Finanzverwaltung, da § 2 Abs. 3 UStG a.F. im Widerspruch zum EU-Recht stand.
III. Anwendung von EU-Recht
1. Mehrwertsteuersystemrichtlinie
Nach Art. 13 Abs. 1 Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28.11.2006 (ABl L 347 2006, 1, zuletzt geändert durch die Richtlinie (EU) 2016/1065 des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG hinsichtlich der Behandlung von Gutscheinen vom 27.6.2016, ABl L 177 2016, 9, abgekürzt: Mehrwertsteuersystemrichtlinie – MwStSystRL) gelten juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht als Steuerpflichtige, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.
Gemäß Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL sind juristische Personen des öffentlichen Rechts jedoch als Steuerpflichtige zu behandeln, sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen im Wettbewerb mit privaten Wirtschaftsteilnehmern (so EuGH, Urt. v. 19.1.2017 – C-344/15, DStRE 2017, 366) führen würde.
Nach der EuGH-Rechtsprechung ist der Begriff „größere Wettbewerbsverzerrungen“ i.S.d. Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG (v. 17.5.1977, ABl 1977, L 145, 1, zum 1.1.2007 abgelöst durch Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL) dahingehend auszulegen, dass die Wettbewerbsverzerrungen „mehr als unbedeutend“ sein müssen (EuGH, Urt. v. 16.9.2008 – C-288/07, Isle of Wight Council u.a., BFH/NV 2009, 108, Ls. 3, Rn 76).
Unter Berücksichtigung von Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL und der dazu ergangenen EuGH-Rechtsprechung legten der BFH und die Finanzgerichte § 2 Abs. 3 UStG a.F. in ständiger Rechtsprechung (vgl. BFH v. 20.8.2009 – V R 70/05, BFH/NV 2009, 2077; v. 17.3.2010 – XI R 17/08, BFH/NV 2010, 2359; v. 15.4.2010 – V R 10/09, BFHE 229, 416; v. 2.3.2011 – XI R 65/07, BFH/NV 2011, 1454; v. 10.11.2011 – V R 41/10, DStR 2012, 348; v. 1.12....