1. Rügefunktion
Mit einer Abmahnung weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen arbeitsvertragliche Pflichten hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam. Der Arbeitnehmer wird in hinreichend bestimmter bzw. deutlicher Art und Weise (Zeit, Ort) auf den von ihm begangenen konkreten Pflichtenverstoß vom Arbeitgeber hingewiesen. Die Rüge des Fehlverhaltens muss konkret und in ihren Einzelheiten zutreffend formuliert sein.
Beispiel:
"Am 7.11.2018 erschienen Sie verspätet erst um 10:45 Uhr an Ihrem Arbeitsplatz. Dies berichteten uns Frau/Herr (...), zudem konnten wir dies Ihrer Zeiterfassung entnehmen. Zu Ihren arbeitsvertraglichen Pflichten zählt aber, die Arbeit bis spätestens 9 Uhr ordnungsgemäß anzutreten."
Ist nur ein Teil der Rüge unzutreffend, muss die Abmahnung insgesamt entfernt werden (BAG, Urt. v. 13.3.1991 – 5 AZR 133/90, NZA 1991, 768; Mues ArbRB 2003, 336). Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, mittels Abmahnung den Verdacht einer Vertragspflichtverletzung zu formulieren und das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers aufgrund eines solchen Verdachts zu erschweren. Eine "Verdachtsabmahnung" kennt das Arbeitsrecht nicht (Hessisches LAG, Urt. v. 24.1.2014 – 14 Sa 776/13 Rn 84).
Typische Anlässe und Gründe für eine arbeitgeberseitige Abmahnung sind etwa unentschuldigtes Fehlen, Unpünktlichkeit, Arbeitsbummelei, Verletzung der Anzeige- und/oder Nachweispflichten bei Krankheit, Beleidigungen oder Tätlichkeiten gegenüber Mitarbeitern, Störung des Betriebsfriedens, private Telefonate und Surfen am Arbeitsplatz sowie sonstige arbeitsvertragliche Schlechtleistungen unterschiedlichster Art (vgl. Hunold NZA-RR 2014, 169). Die Kasuistik der Rechtsprechung zeigt eine bunte Vielfalt von Abmahnszenarien.
Mit der Abmahnung muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordern, sich künftig vertragsgemäß zu verhalten (Appellfunktion). Ihm ist zu verdeutlichen, was der Arbeitgeber von ihm verlangt und wie er sich in Zukunft beanstandungsfrei zu verhalten hat. Auch das ist Teil der Rüge- und Warnfunktion der Abmahnung.
Formulierungsbeispiel:
"Wir fordern Sie hiermit auf, in Zukunft Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten einzuhalten. Dazu gehört auch, dass Sie pünktlich Ihre Arbeit antreten."
2. Warnfunktion
Bei gleichgelagerten Verstößen im selben, abgemahnten Pflichtenkreis muss der Arbeitnehmer mit weitergehenden arbeitsrechtlichen Schritten rechnen, die bis hin zur (außerordentlichen) Kündigung des Arbeitsverhältnisses reichen können (vgl. BAG, Urt. v. 19.4.2012 – 2 AZR 258/11, NZA-RR 2012, 567). Die Abmahnung soll dem Arbeitnehmer die Folgen seines vertragswidrigen Verhaltens aufzeigen und ihm deutlich machen, dass das Arbeitsverhältnis im Wiederholungsfall beendet werden kann. Diese Warnung ist nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes notwendig. Beruht eine Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten eines Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann.
Auch formell fehlerhafte Abmahnungen entfalten regelmäßig die erforderliche Warnfunktion (vgl. BAG, Urt. v. 28.6.2018 – 2 AZR 436/17, NZA 2018, 1259; v. 19.2.2009 – 2 AZR 603/07, NZA 2009, 894; v. 15.12.1994 – 2 AZR 251/94; v. 21.5.1992 – 2 AZR 551/91, NZA 1992, 1028). Insofern kommt es allein auf die sachliche Berechtigung der Abmahnung und darauf an, ob der Arbeitnehmer ihr den Hinweis entnehmen konnte, der Arbeitgeber erwäge für den Wiederholungsfall die Kündigung. Sind diese Voraussetzungen gegeben, ist der Arbeitnehmer unabhängig von formellen Unvollkommenheiten der Abmahnung gewarnt.
Zahlreiche Abmahnungen des Arbeitnehmers wegen gleichartiger Pflichtverletzungen, denen keine weiteren Konsequenzen von Seiten des Arbeitgebers folgen, können kontraproduktiv sein. Sie schwächen die Warnfunktion der Abmahnung so ab, dass trotz eines gleichgelagerten Pflichten- und Vertragsverstoßes nicht gekündigt werden kann, weil der Arbeitnehmer sie für "leere" Drohungen halten darf (vgl. Küttner/Eisemann, Personalbuch 2018, 25. Aufl. 2018, Stichwort: Abmahnung, Rn 22 unter Hinweis auf BAG, Urt. v. 27.9.2012 – 2 AZR 955/11, NZA 2013, 425). Die vorschnelle Empfehlung "viel hilft viel" ist deshalb im Arbeitsrecht unter Umständen ein fehlerhafter Rechtsrat.
Die Androhung "arbeitsrechtlicher Konsequenzen" kann eine hinreichende Warnung vor einer Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses oder seines Inhalts sein. Mit einer solchen Formulierung wird ausge...