Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat sich aufgrund der weiter andauernden Epidemie in ihrer Arbeitsgemeinschaft „Sicherung des Rechtsstaates” erneut intensiv mit der Lage im Rechtsstaat befasst und ein weiteres Positionspapier mit Forderungen an die Rechtspolitik veröffentlicht. Darin fordert sie v.a. die Einhaltung des Parlamentsvorbehaltes auch in Krisenzeiten ein.
Der Vorsitzende der AG „Sicherung des Rechtsstaates”, RA Michael Then, begründet das erneute Tätigwerden der BRAK wie folgt:
Zitat
„Gegenwärtig befinden wir uns in einer pandemischen Krise ungeahnten und bislang unvorstellbaren Ausmaßes. Der Rechtsstaat selbst darf jedoch in keine Krise geraten, gleich wie die äußeren Umstände auch sein mögen. Die Anwaltschaft als Hüterin des Rechts und der Rechtsstaatlichkeit ist verpflichtet, hierauf hinzuweisen. Aus diesem Grunde sieht sich die BRAK gehalten, mit Nachdruck an den Erhalt und die Gewährleistung des Rechtsstaates auch in Pandemiezeiten zu appellieren. Dies sollte in der aktuellen Krisengesetzgebung verstärkt beachtet werden.”
Konkret sollte das Parlament nicht zu viele wesentliche Entscheidungen der Exekutive überlassen, fordert die BRAK. Das Bundesverfassungsgericht habe in diversen Entscheidungen ausgeführt, dass der Gesetzgeber Wesentliches selbst regeln muss und nicht an die Exekutive delegieren dürfe. Es handele sich um eine ureigene Pflicht des parlamentarischen Gesetzgebers. Nur dann, wenn die Abwägung nicht zugunsten des parlamentarischen Gesetzgebers ausfalle, können nach Auffassung der BRAK Maßnahmen durch Verordnungen getroffen werden.
Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund sieht die BRAK den bisherigen Weg, den Zugang zum Impfstoff und damit die Impfreihenfolge durch eine Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums zu regeln, als kritisch an. Der parlamentarische Gesetzgeber sollte in diesem Bereich aufgrund der durchschlagenden Grundrechtsrelevanz prioritär zuständig sein. Damit würde ein etwaiger Vorwurf vermieden, dass Diskussionen zu wichtigen, die Allgemeinheit betreffenden, Themen nicht öffentlich und nicht im Parlament geführt werden. Dies könne zu einem massiven Vertrauensverlust der Bürger in den Rechtsstaat insgesamt führen und stehe damit auch der Akzeptanz getroffener Regelungen entgegen.
Die BRAK betont jedoch ausdrücklich, dass es ihr nicht um das verfolgte Ziel, sondern vielmehr den beschrittenen Weg geht. „Sinn und Zweck dieses Appells ist keinesfalls, getroffene und im Hinblick auf den Gesundheitsschutz der Bevölkerung durchaus gebotene Maßnahmen in Zweifel zu ziehen. Das immer neu aufflammende Infektionsgeschehen macht ein Tätigwerden unabdingbar. Jedoch muss auch und gerade in Zeiten einer Pandemie der gebotene Weg der Gesetzgebung zur Erhaltung und Sicherung des Rechtsstaates garantiert bleiben”, bekräftigt BRAK-Präsident, Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Wessels.
Bereits im März hatte auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) die Achtung der Grundrechte in Zeiten der Pandemie angemahnt. Er plädiert dafür, die Grundrechtseinschränkungen von Menschen, die vollständig gegen das Coronavirus geimpft sind, schrittweise wieder zurückzudrehen und ihnen ihre Freiheitsrechte zurückzugeben. Seien geimpfte Menschen nicht mehr ansteckend, argumentiert der DAV, müssten sie rechtlich mit negativ getesteten Personen gleichgestellt werden. Versammlungsfreiheit, Bewegungsfreiheit und Reisefreiheit seien keine Privilegien oder Sonderrechte. Es seien Grundrechte, die der Gesetzgeber nur unter strengen Voraussetzungen einschränken dürfe. Lägen diese Voraussetzungen nicht mehr vor, entfalle die verfassungsrechtliche Grundlage für Freiheitsbeschränkungen.
[Quellen: BRAK/DAV]