Das Gesetzgebungsvorhaben zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder und weitere in diesem Zusammenhang geplante Änderungen (vgl. dazu zuletzt Anwaltsmagazin ZAP 19/2020, 985) war Anfang Dezember Gegenstand einer öffentlichen Anhörung im Bundestagsausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Die acht Sachverständigen unterstützten zwar das Anliegen, Kinder besser zu schützen; die geplanten begrifflichen und strafrechtlichen Änderungen trafen bei ihnen jedoch auf deutliche Kritik.
So bemängelte etwa Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminologie der Eberhard Karls Universität Tübingen, dass der Entwurf in weiten Bereichen nicht den Anforderungen an eine evidenzbasierte Kriminalpolitik entspreche, zu der sich die Regierungsfraktionen ihrem Koalitionsvertrag für die laufende Legislaturperiode bekannt hätten. Er stieß sich, wie auch die meisten anderen Sachverständigen, an der Einführung des Begriffes der sexualisierten Gewalt. Dieser vernebele den eklatanten Unterschied zwischen der Vornahme sexueller Handlungen mit und ohne Anwendung von Gewalt. Julia Bussweiler von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/M. erklärte, bewährte Prinzipien sollten nicht unnötig einer gesetzgeberischen Umgestaltung unterworfen werden, die zu neuen Auslegungsschwierigkeiten führen könnten. Während der Begriff des sexuellen Missbrauchs mittlerweile etabliert und gesellschaftlich durchgängig negativ besetzt sei, bestehe bei einer Umbenennung des Terminus die nicht zu unterschätzende Gefahr einer irreführenden gesellschaftlichen Bewertung. Zudem gehe die Strafrahmenverschärfung weit über das Ziel hinaus. Auch Jörg Eisele, Lehrstuhlinhaber an der Universität Tübingen, erklärte, bei der gewählten Terminologie handele sich um reine Symbolik, die die tatbestandliche Beschreibung verfehle. Ähnlich warnte die Essener Rechtsanwältin Jenny Lederer davor, dass mit dem Begriff der sexualisierten Gewalt Unklarheit geschaffen werde. Die Heraufstufung des Grundtatbestands des sexuellen Missbrauchs zum Verbrechen lehnte sie ab. Dafür fehle eine rationale Begründung, und es gebe auch keine empirischen Belege für die Wirksamkeit.
Leonie Steinl vom Deutschen Juristinnenbund (djb) erklärte, die Bezeichnung „sexualisierte Gewalt gegen Kinder” sei in der Sache zwar treffend und spiegele das menschenrechtliche Verständnis von Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung wider. Allerdings sei mit dieser Begriffsänderung auch die Gefahr von Missverständnissen und Unklarheit verbunden, da der Gewaltbegriff im deutschen Strafrecht wesentlich enger verstanden werde als im Völkerrecht und insb. im Kontext der Sexualstraftatbestände lediglich körperliche Gewalt impliziere. Sie schlug deshalb den Begriff „sexualisierte Übergriffe” vor.
Barbara Stockinger, Co-Vorsitzende des Deutscher Richterbundes (DRB), erklärte, Strafandrohungen allein entfalteten erfahrungsgemäß wenig Abschreckungswirkung. Hinzu komme, dass die Anhebung des Strafrahmens eine massive Mehrbelastung der ohnehin überlasteten Staatsanwaltschaften und Gerichte zur Folge haben werde. Zu begrüßen sei, dass der Entwurf den Ermittlungsbehörden weitergehende Ermittlungsbefugnisse an die Hand gebe. Der DRB bedauere jedoch, dass eine rechtssichere Umsetzung von Mindestspeicherfristen für Verkehrsdaten noch immer nicht erfolgt sei. Damit fehle in der Praxis ein ganz entscheidendes Ermittlungsinstrument, um Fälle von Kinderpornographie und sexualisierter Gewalt gegen Kinder rasch aufzuklären.
[Quelle: Bundestag]