Auch im Jahr 2020 gab es Streit über die Reichweite der anwaltlichen Tätigkeitsverbote nach §§ 43a Abs. 4, 45 BRAO und ihre Abgrenzung voneinander (zur geplanten Reform s. II. 2.). Das erste Urteil, das sich der Frage, welche Anforderungen an die Ausübung anwaltlicher Tätigkeit zu stellen sind, widmete, ist eine Entscheidung des IX. Zivilsenats vom 2.4.2020 (Az. IX ZR 135/19 m. zust. Anm. Prütting EWiR 2020, 333 f.). Nach dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt verlangte der klagende Rechtsanwalt von den Erben des verstorbenen H Vergütung i.H.v. 600.000 EUR. Gegenstand des Mandats war die Wahrnehmung von Interessen einer (schweizerischen) Gesellschaft, deren Alleingesellschafter der Erblasser und deren Verwaltungsratsvorsitzender der Kläger war, aus ihrer Beteiligung an einer anderen Gesellschaft. Es bahnten sich insoweit Streitigkeiten gegenüber den Mitgesellschaftern an bzw. waren sogar schon ausgebrochen. Der Erblasser hatte zusätzlich noch eine Garantie für das vereinbarte Honorar übernommen. In dem Vergütungsprozess erhoben die Erben des H den Einwand der Nichtigkeit der Honorarvereinbarung nach § 134 BGB i.V.m. §§ 43a Abs. 4, 45 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 2 BRAO. Dem folgte der Senat indes nicht. Einer Anwendbarkeit des § 45 BRAO stehe bereits entgegen, dass die Tätigkeit als Leitungsorgan im konkreten Fall keinen nichtanwaltlichen Zweitberuf betreffe. Hieran habe es gefehlt, weil die Bestellung zum Leitungsorgan gerade deshalb erfolgt sei, damit die Gesellschafterrechte der Beteiligungsgesellschaft durch den klagenden Rechtsanwalt anstelle des Erblassers wahrgenommen werden konnten. Anwendbar sei damit § 43a Abs. 4 BRAO, der indes – anders als § 45 BRAO – einen konkreten Interessengegensatz als Tatbestandsvoraussetzung habe. Hieran fehle es aber, weil die Interessen des Erblassers und der Beteiligungsgesellschaft bezüglich der Verhandlungen mit den Mitgesellschaftern nicht widerstreitend, sondern gleichlaufend seien. Dies sei schon deshalb der Fall, weil der Erblasser seit Mitte 2007 sämtliche Aktien der Beteiligungsgesellschaft hielt. Er war daher dem wirtschaftlichen Wohlergehen der Gesellschaft in gleicher Weise verpflichtet wie die Gesellschaft selbst. Denn das wirtschaftliche Wohlergehen der Gesellschaft hing in erster Linie von der Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber den Mitgesellschaftern aus ihrer Beteiligung ab.
Die zweite Entscheidung des BGH aus dem vergangenen Jahr zu diesem Themenkreis stammt vom III. Zivilsenat (Urt. v. 17.9.2020 – III ZR 283/18, ZAP EN-Nr. 534/2020). Nach dem diesem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt nahmen zwei Anleger eine Rechtsanwaltspartnerschaft auf Schadensersatz in Anspruch. Die Partnerschaft war für die Anleger aufgrund eines „Treuhandvertrags” mit der Emittentin als Sicherheitentreuhänderin für Hypothekenanleihen einer AG tätig geworden. Laut Treuhandvertrag sollte die Anwaltsgesellschaft die Sicherheiten für die Investoren halten und nach Zahlung freigeben sowie bei Zahlungsausfall des Immobilienunternehmens die Sicherheiten zu deren Gunsten verwerten. Die Emittentin zahlte die Anleihen nach Fälligkeit nicht zurück, über ihr Vermögen wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet. Die Anleger begehrten insb. Ersatz ihres Zeichnungsschadens und machten im Wesentlichen geltend, die PartG habe es pflichtwidrig unterlassen, sie u.a. über ihre anderweitige Geschäftsverbindung mit der Emittentin und den damit einhergehenden Interessenkonflikt aufzuklären. Denn die PartG hatte die AG bereits im Prospektbilligungsverfahren für die ausgegebenen Anleihen vertreten.
Der BGH führte aus, dass das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen gem. § 43a Abs. 4 BRAO – wie aus der notwendigen Abgrenzung zu § 45 BRAO folge – auf den Kernbereich der Anwaltstätigkeit beschränkt wäre (insoweit kritisch Dietlein NJW 2020, 3458). Zwar gehöre die Treuhandtätigkeit zum Berufsbild des Rechtsanwalts und könne, auch wenn sie nicht nach den Bestimmungen des RVG (vgl. § 1 Abs. 2 S. 2 RVG) zu vergüten sei, Gegenstand eines Anwaltsvertrags sein. Dies setze jedoch voraus, dass sie mit einer Pflicht zur Rechtsberatung verbunden ist. Diese Voraussetzung erfülle der zwischen der Partnerschaft und der Emittentin geschlossene Treuhandvertrag nicht; daher sei dieser als Geschäftsbesorgungsvertrag über eine anwaltsfremde Tätigkeit zu qualifizieren. Aber auch § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO könne kein Tätigkeitsverbot entnommen werden, da der mandatsbearbeitende Rechtsanwalt nicht in derselben Angelegenheit tätig geworden sei. Insoweit sei unter Berücksichtigung der Tragweite der Berufsausübungsfreiheit eine restriktive Auslegung geboten. Dass beide Tätigkeiten auf Verträgen mit der Emittentin beruhten und sich auf dieselben Hypothekenanleihen bezogen, genüge gerade nicht. Vielmehr würden sich die mit der jeweiligen Aufgabenwahrnehmung berührten Interessen nicht in relevantem Maße überschneiden. Denn die anwaltliche Vorbefassung der Partnerschaft bzw. des Mandatsbearbeiters sei ausschließlich auf die recht...