(BGH, Urt. v. 22.9.2020 – VI ZR 476/19) • Die Frage, ob in dem Onlinearchiv einer Tageszeitung Altmeldungen zum Abruf bereitgehalten werden dürfen, in denen über die Hauptverhandlung eines Strafverfahrens berichtet und in denen der Angeklagte namentlich genannt wird, ist aufgrund einer umfassenden Abwägung des Persönlichkeitsrechts des Beschuldigten mit dem Recht der Presse auf Meinungs- und Medienfreiheit zu entscheiden. Dabei stellt die Frage, ob es dem Verlag möglich und zumutbar ist, die Auffindbarkeit der Altmeldung über Internet-Suchmaschinen zu unterbinden oder einzuschränken, aus Gründen der praktischen Konkordanz einen Abwägungsgesichtspunkt dar. Hinweis: Soweit nicht die ursprüngliche oder eine neuerliche Berichterstattung, sondern das öffentlich zugängliche Vorhalten eines Berichts, insb. in Onlinearchiven, in Rede steht, ist nach der „Recht-auf-Vergessen-I”-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2019 dessen Zulässigkeit im Ausgangspunkt anhand einer neuerlichen Abwägung der im Zeitpunkt des jeweiligen Löschungsverlangens bestehenden gegenläufigen grundrechtlich geschützten Interessen zu beurteilen. Dabei ist die ursprüngliche Zulässigkeit eines Berichts allerdings ein wesentlicher Faktor, der ein gesteigertes berechtigtes Interesse von Presseorganen begründet, diese Berichterstattung ohne erneute Prüfung oder Änderung der Öffentlichkeit dauerhaft verfügbar zu halten. Für den Interessenausgleich zwischen den Medien und dem Betroffenen sind mögliche Abstufungen hinsichtlich der Art der Schutzgewähr in die Betrachtung einzubeziehen. Zu berücksichtigen ist, wieweit dem Betreiber eines Onlinearchivs Mittel zur Verfügung stehen, zum Schutz des Betroffenen auf die Erschließung und Verbreitung der Berichte im Netz Einfluss zu nehmen (vgl. BGH, Urt. v. 18.12.2018 – VI ZR 439/17). Solche Schutzmaßnahmen sind den Medien nicht grds. unzumutbar, sondern sie dürfen durchaus technische Anstrengungen und Kosten mit sich bringen. Anzustreben ist ein Ausgleich, der einen ungehinderten Zugriff auf den Originaltext möglichst weitgehend erhält, diesen auf besonderen Schutzbedarf hin – insb. gegenüber namensbezogenen Suchabfragen mittels Suchmaschinen – aber einzelfallbezogen doch hinreichend begrenzt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.11.2019 – 1 BvR 16/13).
ZAP EN-Nr. 284/2021
ZAP F. 1, S. 487–488