1. StVO-Novelle 2020
Wie bereits im letzten Bericht (Deutscher ZAP F. 19 R, S. 559 ff.) mitgeteilt, ist die 54. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.4.2020 (BGBl I, 814, sog. StVO-Novelle 2020) wegen eines Verstoßes das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG in Bezug auf § 26a Abs. 1 Nr. 3 StVG (Fahrverbot) verfassungswidrig. Unklar ist, ob nur die von dem Zitierfehler erfassten Bereiche nichtig sind (Teilnichtigkeit, Will NZV 2020, 601) oder die Verordnung insgesamt nichtig ist (Deutscher VRR 7/2020, 4, 5). Die (Teil-)Nichtigkeit der StVO-Novelle 2020 hat keine Auswirkung auf die Gültigkeit der BKatV bei Verstößen, die von der Novelle nicht geändert worden sind (z.B. Abstandstöße; BayObLG DAR 2021, 41 = zfs 2020, 712 = VRR 12/2020, 14 [Deutscher] = NZV 2020, 651 [Will]). Es gilt der Rechtszustand vor der StVO-Novelle 2020 (OLG Zweibrücken zfs 2021, 53; a.A. Hecken NZV 2021, 84 zur Benutzung von Mobiltelefonen am Steuer). Überlegungen, auch die VO zum Neuerlass der StVO vom 6.3.2013 (BGBl I 2013, 367) weise einen Zitierfehler auf mit der Folge, dass die StVO sich wegen der ebenfalls auf einem Zitierfehler beruhenden Nichtigkeit der „Schilderwald-Novelle” aus dem Jahr 2009 auf dem Stand vom 31.8.2009 befinde (hierzu abl. Deutscher, VRR 10/2020, 4), haben das OLG Oldenburg (DAR 2020, 700 = VRR 11/2020, 16; StRR 11/2020, 31 [jew. Burhoff] = NZV 2020, 653 [Will]) und das KG (DAR 2020, 696) zu Recht zurückgewiesen (ebenso OLG Hamm NJW 2021, 99 = DAR 2021, 107 = zfs 2021, 53 = NZV 2021, 161 [Will]). Eine Reparatur der StVO-Novelle 2020 oder ein vollständiger Neuerlass der StVO ist bislang nicht erfolgt (näher Will NZV 2020, 601, 619). Die Verfahrenskosten sind der Staatskasse aufzuerlegen, wenn die Bußgeldbehörde einen aufgrund der Nichtigkeit der Novelle fehlerhaften Bußgeldbescheid in Anwendung des „alten” Bußgeldkatalogs wesentlich abgemildert und der Betroffene den neuen Bußgeldbescheid akzeptiert hat (AG Wuppertal DAR 2021, 47 m. Anm. Fromm = NZV 2020, 654 [Hecken]; AG Trier VRR 1/2021, 23 [Burhoff]; zu den praktischen Folgen der Nichtigkeit Simon DAR 2021, 54).
2. Trunkenheits- und Drogenfahrten (§ 24a StVG)
Wird ein kraftfahrzeugführender Betroffener, bei dem im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle angesichts des Antreffens im grenznahen Gebiet zu den Niederlanden und aufgrund stark erweiterter Pupillen ohne Reaktion und starkem Lidflattern der Anfangsverdacht für eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG besteht, ohne vorangegangene Belehrung zunächst befragt wird, „ob er etwas genommen habe”, verstößt dies gegen §§ 136 Abs. 1 S. 2, 163a Abs. 4 StPO, 46 Abs. 1 OWiG. Ob über die Unverwertbarkeit der Angaben des nicht ordnungsgemäß belehrten Betroffenen hinaus ein Beweisverwertungsverbot Fernwirkung bzgl. anderer Beweismittel (hier insb.: Ergebnis der Blutprobe, der sich der Betroffene „freiwillig” unterzogen hat) besteht, ist umstritten. Selbst, wenn man eine solche Fernwirkung – noch dazu im Ordnungswidrigkeitenrecht – bejahen wollte, so lässt sich eine allgemeingültige Regel, wann ein Beweisverwertungsverbot über das unmittelbar gewonnene Beweisergebnis hinausreicht und wo seine Grenzen zu ziehen sind, nicht aufstellen. Die Grenzen richten sich nicht nur nach der Sachlage und Art und Schwere des Verstoßes, sondern auch nach der Kausalität der unzulässig erlangten Erkenntnisse für die weiteren Ermittlungen und die schließliche Überführung des Betroffenen (OLG Hamm DAR 2020, 699 = VRR 6/2020, 18/StRR 7/2020, 18 [jew. Urbanczyk] = NZV 2021, 162 [Krenberger]).
3. Bußgeldrechtliches Fahrverbot (§§ 25 StVG, 4 BKatV)
Hinweis:
Zu Rechtsgrundlagen und Systematik des bußgeldrechtlichen Fahrverbots wird verwiesen auf Deutscher, in: Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021, Rn 1508 ff., 1732 ff. Zur Entwicklung des straßenverkehrsrechtlichen Fahrverbotes im Jahr 2020 Deutscher NZV 2021, 115. Das Fahrverbot in Bußgeldsachen als Verkehrserziehungsmaßnahme erörtert Krenberger NZV 2021, 26.
a) Tatbestand des Fahrverbots
aa) Regelfälle
Grundsätzlich ist der Tatrichter gehalten, die Angaben des Betroffenen, die einen Ausnahmefall wegen Augenblicksversagen begründen können, nicht einfach ungeprüft zu übernehmen, sondern diese kritisch zu hinterfragen, um missbräuchlichen Vortrag auszuschließen (OLG Zweibrücken zfs 2021, 113). Das plötzliche Aufleuchten einer Kontrollleuchte im Fahrzeug allein rechtfertigt nicht den Wegfall des wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes verwirkten Fahrverbots unter dem Gesichtspunkt eines sog. Augenblicksversagens, wenn konkrete Feststellungen dazu fehlen, welche Warnleuchten aufleuchteten, ob und ggf. welche sonstigen Auffälligkeiten am Fahrzeug des Betroffenen plötzlich auftraten, in welcher zeitlichen Phase der Annäherung an die Ampelanlage dies erfolgte und wie sich das sonstige Verkehrsgeschehen darstellte (BayObLG DAR 2021, 159 m. Anm. Krenberger). Eine noch nicht rechtskräftige Ahndung wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit kann im Rahmen der Beurteilung, ob eine nicht durch den Regelfall des § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV indizierte Beha...