Gerichte dürfen das Vorliegen einer Anwaltsvollmacht nur in seltenen Fällen anzweifeln. Das ist das Fazit einer neuen Entscheidung des BVerfG in einem Verwaltungsstreitverfahren. Die Verfassungsrichter stellten fest, dass ein Gericht von Amts wegen nur dann Zweifel an der anwaltlichen Bevollmächtigung berücksichtigen darf, wenn es hierfür auch ausreichende Gründe gibt (BVerfG, Beschl. v. 18.2.2022 – 1 BvR 305/21, s. ZAP EN-Nr. 303/2022 [Ls.; in dieser Ausgabe]).
In dem Fall hatte ein Prozessbevollmächtigter am 12. November vergangenen Jahres die Zulassung der Berufung beim OVG beantragt. Dieses schrieb ihm am 20. November, er möge doch bis zum 27. November die Prozessvollmacht im Original nachreichen. Diese Frist konnte der Anwalt jedoch nicht einhalten, weil bereits der Versand des Schriftstücks von seinem Mandanten an ihn auf dem Postweg länger dauerte. Auf eine Erinnerung der Geschäftsstelle vom 1. Dezember meldete er sich sofort und erklärte diese Umstände. Einen Tag später beantragte er im Hinblick auf die kommenden Feiertage zudem eine Fristverlängerung für die Begründung des Antrags und erklärte, „die Prozessvollmacht im Original wird zeitnah übersandt werden”. Tatsächlich erhielt er die Vollmacht erst am 8. Dezember und leitete sie umgehend weiter, sodass sie am 11. Dezember bei Gericht einging.
Allerdings hatte das OVG den Antrag bereits am 3. Dezember als unzulässig verworfen mit der Begründung, der Rechtsanwalt habe seine Bevollmächtigung nicht innerhalb der gesetzten Frist nachweisen können. Das Gericht habe dies auch von Amts wegen prüfen dürfen, weil besondere Umstände Anlass für Zweifel begründeten, ob eine hinreichende Prozessvollmacht für das eingeleitete Verfahren bestehe. Schließlich sei eine Vollmacht schon im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgelegt worden. Zudem sei es ungewöhnlich, dass der Rechtsanwalt auf die gerichtliche Aufforderung hin nicht umgehend eine Vollmacht oder zumindest eine Erklärung vorgelegt habe, welche Umstände einer Vorlage bislang entgegengestanden hätten. Auch die Beantragung einer nicht unerheblichen Verlängerung der Begründungsfrist könne, so das OVG, auf einen fehlenden Kontakt des Bevollmächtigten zu dem Beschwerdeführer hindeuten.
Für diese Argumentation der Verwaltungsrichter hatte das BVerfG aber überhaupt kein Verständnis. Ein Gericht habe den Mangel einer Vollmacht grds. nur dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn kein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter auftrete, belehrten die Verfassungsrichter ihre Kollegen vom OVG mit Verweis auf § 67 Abs. 6 S. 3 und 4 VwGO. Wenn wie hier ein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter auftrete, komme eine Prüfung von Amts wegen nur dann in Betracht, wenn die Art und Weise der Prozessführung bzw. sonstige besondere Umstände dem Gericht dazu berechtigten Anlass gäben. Dies sei etwa bejaht worden, wenn der auftretende Rechtsanwalt trotz gerichtlicher Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist nicht nur versäumt habe, die Vollmacht nachzureichen, sondern zudem den angeblich vertretenen Kläger nicht ordnungsgemäß bezeichnet habe. Auch ansonsten werde auf eine fehlende Nachreichung der Vollmacht abgestellt, wobei von den Gerichten aber immer weitere Umstände angeführt würden, die jeweils gegen das Bestehen der Bevollmächtigung gesprochen hätten. Allein durch die Nichtvorlage nach Aufforderung werde hingegen das dem Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege ausweislich des § 67 Abs. 6 S. 4 VwGO beigemessene besondere Vertrauen nicht erschüttert. Auf eine ausbleibende Nachreichung könne allenfalls nach – Zweifel verfestigender – mehrmaliger vergeblicher Erinnerung und Fristsetzung maßgeblich abgestellt werden.
Als teilweise „überhaupt nicht nachvollziehbar” kritisierten die Verfassungsrichter die vom OVG vorgebrachten Gründe für seine Zweifel. Sie verwarfen sowohl das Argument, eine Vollmacht habe möglicherweise schon erstinstanzlich nicht vorgelegen, als auch die Mutmaßungen des OVG über einen aktuell fehlenden Kontakt des Bevollmächtigten zum Mandanten. Aus der erstinstanzlichen Akte ließen sich keine Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollmacht herleiten; selbst wenn es solche gegeben hätte, wäre vom Gericht zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes „eine angemessene Zeitspanne einzuräumen gewesen”, so das BVerfG.
Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), kommentierte denn auch bereits, das BVerfG sei hier „sehr deutlich” geworden und sprach von einer „Schelte” für das betreffende OVG in Sachsen-Anhalt. Jedenfalls dürfte es nach diesen klaren Ausführungen für Gerichte in Zukunft schwerer werden, das Vorliegen einer anwaltlichen Vollmacht ins Blaue hinein anzuzweifeln.
[Quellen: BVerfG/BRAK]