Zu Rechtsgrundlagen und Systematik des bußgeldrechtlichen Fahrverbots wird verwiesen auf Deutscher, in: Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021, Rn 1509 ff., 1732 ff. Die Entwicklung des straßenverkehrsrechtlichen Fahrverbots im Jahr 2021 wird behandelt von Deutscher, NZV 2022, 105.
a) Der Tatbestand des Fahrverbots
Nicht jede Missachtung eines Wechsellichtzeichens trotz bereits länger als eine Sekunde andauernder Rotphase stellt eine typische, die Verhängung der erhöhten Geldbuße sowie eines Fahrverbots nach Nr. 132.3 BKat indizierende Pflichtverletzung dar. Insbesondere im Falle einer einspurigen Verkehrsführung an einer Baustellenampel kann die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräftet sein (BayObLG NZV 2022, 82 m. Anm. Steinert = demnächst in VRR 2022, [Deutscher]). Allein der Umstand, dass auch andere Verkehrsteilnehmer einen vergleichbaren Rotlichtverstoß begingen und dabei die Unübersichtlichkeit der Lichtzeichenanlage rügten, rechtfertigt für sich genommen nicht die Annahme, es liege nur eine mindere Nachlässigkeit vor. Insoweit wären Feststellungen zur konkreten Verkehrssituation und dazu zu treffen, dass der Verstoß an dieser Stelle jedem sorgfältigen und gewissenhaften Fahrer unterlaufen könnte (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 2.8.2021 – 1 Rb 34 Ss 457/21, zfs 2021, 652).
b) Die Erforderlichkeit des Fahrverbots
Ein in der konkreten Situation objektiv wenig gefährliches Verhalten kann Anlass geben, das Regelfahrverbot auf seine Erforderlichkeit zu prüfen (so KG NZV 2022, 98 [Deutscher]). Wurde der Betroffene bei der von ihm begangenen Ordnungswidrigkeit selbst erheblich verletzt, so hat sich das Tatgericht bei der Begründung des Fahrverbots trotz der Indizwirkung des Bußgeldkatalogs in aller Regel damit zu befassen und zu begründen, warum es dennoch der Denkzettel-, Besinnungs- und Warnfunktion der Nebenfolge bedarf (KG, Beschl. v. 29.7.2021 – 3 Ws (B) 182/21, DAR 2021, 698 m. Anm. Krenberger; zfs 2022, 49; NZV 2022, 46 [Krumm]). Die Annahme, dass die Vollstreckung eines verfahrensfremden Fahrverbotes zwischen Tat und Urteil eine so weitgehende erzieherische Wirkung entfalten könnte, dass ein weiteres Fahrverbot entbehrlich wird, liegt bei einem Wiederholungstäter regelmäßig fern (BayObLG NJW 2022, 412; NStZ-RR 2021, 351; VRR 11/2021, 21 [Deutscher]). Da das Messgerät LEIVTEC XV3 nicht mehr als standardisiertes Messverfahren anzusehen ist (u. 4 d), soll es nach einer Einspruchsbeschränkung auf die Rechtsfolgen als verkehrserzieherisch ausreichend zu erachten sein, die ohne Fahrverbot als tat- und schuldangemessen anzusehende Geldbuße angemessen zu erhöhen (so AG Eilenburg VRR 12/2021, 22 [abl. Deutscher]).
c) Die Angemessenheit des Fahrverbots
Ein Absehen vom Regelfahrverbot unter Erhöhung der Regelgeldbuße ist angezeigt bei einer verheirateten Mutter in Ausbildung, beengten wirtschaftlichen Verhältnissen und mit drei Kindern und fehlenden Möglichkeiten zur Milderung der Folgen des drohenden Fahrverbots (AG Dortmund NZV 2021, 34 mit Anm. Sandherr).
d) Die Dauer des Fahrverbots
Die Verlängerung der im BKat normierten Dauer eines Regelfahrverbots darf nur erfolgen, wenn sich aus in der Person des Betroffenen oder der Tat liegender Umstände gewichtige Gründe für die Prognose ergeben, dass die Regeldauer zur erzieherischen Einwirkung auf den Betroffenen nicht ausreicht. Eine vorsätzliche Begehung genügt nicht für eine Verdoppelung der Regeldauer (OLG Oldenburg DAR 2021, 643).
e) Isolierte Anfechtung des Fahrverbots
Da Fahrverbot und Geldbuße in einem Wechselwirkungsverhältnis zueinanderstehen, ist eine isolierte Anfechtung des Fahrverbots unwirksam (KG NZV 2022, 98 [Deutscher]).
f) Verfassungsbeschwerde und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
Der Betroffene kann gegen die rechtskräftige gerichtliche Anordnung eines Fahrverbots Verfassungsbeschwerde erheben (§ 90 BVerfGG). Dies kann durch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 32 BVerfGG) flankiert werden, um die unmittelbar nach Rechtskraft drohenden Folgen des Fahrverbots abzuwenden. Das VerfGH Rheinland-Pfalz (Beschl. v. 21.6.2021 – VGH A 39/21, DAR 2021, 554; NZV 2021, 481 [Deutscher]) hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Vollstreckung eines Fahrverbots sei nicht automatisch ein schwerer Nachteil. Die Durchsetzung der Gesetze und die Vollstreckung der auf ihrer Grundlage erlassenen rechtskräftigen Maßnahmen diene der Rechtspflege und somit dem Rechtsstaatsprinzip. Diesen Belangen stünden auf Seiten des Antragstellers Grundrechtseingriffe von geringer Intensität gegenüber.