1. Die Betriebsgefahr (§ 7 StVG)
Eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG verlangt, dass die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kfz im Zeitpunkt des schadensauslösenden Ereignisses noch gegeben ist oder zumindest nachwirkt. Nach dem Sinn und Zweck der Kfz-Versicherung sind nur unmittelbar vom Fahrzeug ausgehende Gefahren abgedeckt. Eine solche Gefahr stellt die Explosion der Batterie des versicherten Fahrzeugs beim Startvorgang dar, auch wenn dieser mit einer Starthilfe durch ein anderes Fahrzeug unterstützt wird (OLG Dresden, Beschl. v. 19.7.2021 – 4 W 475/21, DAR 2021, 627; zfs 2021, 686; NJW-RR 2021, 1333). Ein enger zeitlicher und örtlicher Zusammenhang zwischen einem Kraftfahrzeugbrand und dem Betriebsvorgang eines Fahrzeugs liegt jedenfalls vor, wenn dieses noch ca. zwei Stunden vor dem Brand gefahren wurde. Für eine Zurechnung ist nicht erforderlich, dass der klagende Halter gegenüber der beklagten Versicherung beweist, durch welche Betriebseinrichtung der Brand verursacht worden ist. Es reicht aus, dass unstreitig oder bewiesen ist, dass der Brand in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang oder einer Betriebseinrichtung des Kfz entstanden ist. Die beklagte Versicherung könnte aber ihrerseits darlegen und beweisen, dass der Brand von außen herbeigeführt worden ist, was den Zurechnungszusammenhang entfallen ließe (OLG Celle, Urt. v. 12.5.2021 – 14 U 189/20, NJW-RR 2021, 1328).
Verursacht der Führer eines Lkw eine Ausweichbewegung eines überholenden Fahrzeugs, ohne dies zu berühren, und kollidierte das überholende Fahrzeug anschließend mit einem Motorrad, erfolgt dieser Unfall bei Betrieb des Lkw (OLG Hamm, Urt. v. 24.8.2021 – I-7 U 81/20, NJW-RR 2022, 177). Ist das behauptete berührungslose Unfallgeschehen im Rahmen einer von einem Verkehrsanalytiker dargestellten Zeit-Wege-Betrachtung völlig unplausibel, weil danach feststeht, dass der Entschluss zum Ausweichen zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, in dem das entgegenkommende Fahrzeug infolge des Straßenverlaufs noch gar nicht zu erkennen war, spricht nichts für einen berührungslosen Unfall (OLG Hamm, Urt. v. 31.8.2021 – 9 U 141/19, NZV 2022, 146 [Fahl]).
Fährt ein städtischer Unimog bei Mäharbeiten des Banketts rückwärts aus einer Haltebucht auf die Fahrbahn in einen vorbeifahrenden Pkw, liegt ein Unfall beim Betrieb gem. § 7 Abs. 1 StVG vor (OLG Hamm, Urt. v. 21.12.2021 – 7 U 21/20, DAR 2022, 146). Wird eine Person durch einen von einem Traktor angetriebenen Kreiselmäher beim Mähen einer als Weideland genutzten Wiesenfläche durch einen hochgeschleuderten Stein verletzt, ist eine Haftung des Traktorhalters nach § 7 Abs. 1 StVG zu verneinen, weil das Risiko, das sich in diesem Fall verwirklicht hat, nicht in den Schutzbereich des § 7 StVG fällt (BGH, Urt. v. 21.9.2021 – VI ZR 726/20, DAR 2021, 681; zfs 2022, 133; s.a. AG Zittau DAR 2022, 104; zu den erforderlichen Sicherungsvorkehrungen bei Mäharbeiten OLG Frankfurt, Urt. v. 31.8.2021 – 26 U 4/21, DAR 2021, 691; zfs 2021, 674). Auch bei Beschädigung des Tankschlauchs durch einen auf einer privaten Rasenfläche unbeaufsichtigt fahrenden Mähroboter und die dadurch verursachte Kontamination des Erdreichs fällt nicht in den Schutzbereich des § 7 StVG (OLG Köln, Beschl. v. 15.4.2020, DAR 2022, 30 m. Anm. Papatheodorou).
Hinweis:
Zur Halterhaftung bei Kfz mit Arbeitsfunktion s. Witt, NJW 2022, 579. Die Fragwürdigkeit der Ausnahme von der Gefährdungshaftung in § 8 Nr. 1 StVG anhand von E-Scootern erörtert Kärger, DAR 2022, 16 (vgl. a. Balke, SVR 2022, 18).
2. Verstöße, Haftungsverteilung und Mitverschulden (§§ 9, 17 StVG, 254 BGB)
a) Kollisionen von Kfz
aa) Verstöße
Die Missachtung des Vorfahrtsrechts begründet einen Anscheinsbeweis für die Unfallursächlichkeit zulasten des Vorfahrtspflichtigen. Wird dieser nicht durch einen atypischen Geschehensablauf erschüttert, kommt regelmäßig nur die Alleinhaftung des Vorfahrtsverletzers in Betracht (OLG Dresden, Beschl. v. 9.6.2021 – 4 U 296/21, zfs 2021, 613). Kommt es im Einmündungsbereich zur Kollision zweier Fahrzeuge, so haftet der Wartepflichtige i.d.R. allein, und zwar selbst dann, wenn der bevorrechtigte Linksabbieger beim Abbiegen zu einem geringen Teil die linke Fahrbahnseite mitbenutzt und in dieser Weise die Kurve schneidet (LG Hamburg, Urt. v. 8.2.2021 – 331 O 256/20, NZV 2021, 640 [Bachmor]). Das Vorrecht von Omnibussen des Linienverkehrs und Schulbussen beim Abfahren von gekennzeichneten Haltestellen gem. § 20 Abs. 5 StVO besteht nur unter den Voraussetzungen einer rechtzeitigen und ordnungsgemäßen Anzeige gegenüber dem ansonsten fortbestehenden Vorrang des fließenden Verkehrs. Die Beweislast für die Inanspruchnahme des Vorrechts trägt derjenige, der sich auf dieses beruft. Erst wenn der Fahrer eines an einer Haltestelle haltenden Linienbusses bewiesen hat, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme seines Vorrechts vorgelegen haben, entfällt der Vorrang des fließenden Verkehrs und mit ihm der Anscheinsbeweis, der auf einen Verstoß gegen die in § 10 StVO normierten Sorgfaltsanforderungen schließen lässt (so OLG Celle, Urt. v. 10.11.2021 – 14 U 96/21, VRR 3/2022, 15 [...