Unter dem Vorsitz des Landes Bayern fand im November 2022 die Herbstkonferenz der Justizminister der Länder und des Bundes statt. Die Ressortchefs beschäftigten sich mit Themen wie dem Schutz von Mietern und des Rechtsstaats. Auch das Jurastudium stand auf der Tagesordnung. Die aus anwaltlicher Sicht interessantesten Beschlüsse sind nachfolgend kurz dargestellt:
Zivilrecht
1. Weiterer Mieterschutz im Wohnraummietrecht
Die Justizministerinnen und -minister haben sich mit den Auswirkungen der aktuellen Preisentwicklung auf Mieterinnen und Mietern befasst. Insbesondere aufgrund des erheblichen Anstiegs der Energiekosten und der massiv gestiegenen Inflation müssten diese mit hohen Betriebskostennachzahlungen und der Erhöhung von Betriebskostenvorauszahlungen rechnen. Ihnen drohten schlimmstenfalls Kündigung und Räumung, wobei die aktuelle Preisentwicklung die Suche nach bezahlbarem Wohnraum zusätzlich erschwere. Die Ressortchefs halten daher gesetzgeberische Maßnahmen für erforderlich, insb. im Recht der Mietverhältnisse über Wohnraum (§§ 549 ff. BGB). Der Bundesjustizminister wurde gebeten, folgende Änderungen zu prüfen:
- Beschränkung der Kündigung wegen Verzugs der Mieterin oder des Mieters mit einer Betriebskostennachzahlung oder erhöhten Betriebskostenvorauszahlungen für einen befristeten Zeitraum.
- Erstreckung des sog. Nachholrechts des Mieters (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) auf die ordentliche Kündigung der Vermieterin oder des Vermieters.
- Einführung eines ordentliches Mieterkündigungsrechts für Fälle, in denen bei Zeitmietverträgen (§ 575 BGB) und Mietverträgen mit befristetem Kündigungsausschluss aufgrund neuer unvorhersehbarer Umstände die Bindung an den Mietvertrag bis zum Ablauf der Befristung unzumutbar wird.
- Einführung eines gesetzlichen Anspruchs von Mieterinnen und Mietern auf Erteilung einer Mietschuldenfreiheitsbescheinigung durch die Vermieterin oder den Vermieter.
2. Nutzung „stiller Wohnraumreserven”
Angesichts der anhaltenden Wohnungsknappheit in vielen deutschen Städten haben sich die Justizministerinnen und Justizminister der Länder mit dem Phänomen befasst, dass Mieterinnen und Mieter häufig in relativ großen Wohnungen wohnen bleiben, die sie früher mit ihren Familien bewohnt haben. Der Wunsch nach einem Umzug in eine kleinere Wohnung v.a. in Ballungsgebieten werde aber meist nicht umgesetzt. Dies liege u.a. daran, dass die Betroffenen über günstige Altmietverträge verfügten und bei Abschluss eines neuen Mietvertrags deutlich höhere Mieten bezahlen müssten. Solche „stillen Reserven” im Wohnungsmarkt könnten aber gehoben werden, so die Auffassung der Ressortchefs. Sie baten den Bundesjustizminister, die Einführung eines Bestandsschutzes von entsprechend umzugsbereiten Mieterinnen und Mietern mit Blick auf die Miethöhe zu prüfen.
3. Erleichterungen bei Balkon-Photovoltaikanlagen
Steckerfertige Mini-Photovoltaikanlagen – sog. Balkonkraftwerke – sind nach Auffassung der Justizministerinnen und -minister eine niederschwellige Alternative zu großen Solaranlagen auf dem Dach. Aber auch sie seien wohnungseigentumsrechtlich wegen der Auswirkungen auf das Gesamterscheinungsbild des Gebäudes häufig als bauliche Veränderung einzustufen und bedürften deshalb oft der Zustimmung der Mehrheit der Wohnungseigentümer. Diese Hürde wollen die Ministerien künftig absenken, indem sie eine entsprechende Erweiterung des Katalogs der privilegierten Maßnahmen nach § 20 Abs. 2 WEG bzw. § 554 BGB vorschlagen.
4. Schutzlücken bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen
Die Justizministerinnen und -minister sind der Meinung, dass der Schutz vor Persönlichkeitsrechtsverletzungen teilweise lückenhaft ist. Aufgrund der derzeitigen Rechtslage, nach der ein Anspruch auf Geldentschädigung für immaterielle Schäden wegen schwerer Persönlichkeitsrechtsverletzung vor seiner rechtskräftigen Zuerkennung grds. unvererblich sei, seien insb. hochbetagte oder schwerkranke Geschädigte einer besonders belastenden Situation ausgesetzt: Sie müssen nicht nur die persönlichen Folgen einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung ertragen, sondern auch den Gedanken, dass, falls sie noch vor dem rechtskräftigen Abschluss eines Gerichtsverfahrens versterben, die Verantwortlichen für das verursachte Leid keine Entschädigung leisten müssten. Die Minister forderten daher, diese Schutzlücke zu schließen, indem die Vererblichkeit eines Geldentschädigungsanspruchs aufgrund der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts künftig gesetzlich vorgesehen wird.
5. Auskunftsansprüche bei der Pflichtteilsregulierung
Streitigkeiten bei der Pflichtteilsregulierung belasteten neben Erben und Pflichtteilsberechtigten auch die Notare und die Zivilgerichte, stellten die Justizministerinnen und -minister fest. Dies liege daran, dass die Regelungen des BGB in der Praxis unzureichend seien, um eine faire, schnelle und konfliktarme Durchführung des Verfahrens sicherzustellen. Denn die Ermittlungspflichten und Ermittlungsmöglichkeiten der Notare bei der Aufstellung etwa von Nachlassverz...