1. Pflicht zur elektronischen Übermittlung: Betreuungs- und Unterbringungsverfahren
(BGH, Beschl. v. 21.9.2022 – XII ZB 264/22) • Als bestimmender Schriftsatz eines Rechtsanwalts ist die Beschwerde gem. § 14b Abs. 1 S. 1 FamFG als elektronisches Dokument zu übermitteln. Für die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument ist eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe bzw. Umstände erforderlich, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich zu versichern hat. Eine nachgeholte Glaubhaftmachung dreieinhalb Wochen nach der Ersatzeinreichung ist nicht unverzüglich erfolgt. Bereits nach Ablauf einer Zeitspanne von mehr als einer Woche ist ohne Vorliegen besonderer Umstände grds. keine Unverzüglichkeit mehr gegeben.
ZAP EN-Nr. 698/2022
Anmerkung: Der Rechtsanwalt hatte am 21.4.2022 gegen zwei Beschlüsse durch in Schriftform bei Gericht eingegangene Schriftsätze Beschwerden eingelegt. Diese Schriftsätze enden jeweils mit der Erklärung, es könne derzeit nicht über beA zugestellt werden, da aufgrund einer Störung keine Signatur und Versendung möglich sei. Zuvor sind Amts- und Landgericht seit dem 12.1.2022 in denselben Sachen neun andere Schriftsätze per Telefax oder Brief zugegangen, die die gleiche Erklärung enthalten.
Nach gerichtlichem Hinweis auf Bedenken gegen die Zulässigkeit der schriftlich eingereichten Beschwerden hat der Rechtsanwalt am 17.5.2022 ausgeführt, dass die Aktivierung der beA-Karte bezüglich der Sendefunktion aus technischen Gründen nicht funktionsfähig gewesen sei. Inzwischen sei die Karte gesperrt und eine neue Karte bezogen worden, bei der die Signaturfunktion erneut nicht habe aktiviert werden können. Die Beschwerden wurden verworfen.
Das Gericht führt aus, dass der Verfahrensbevollmächtigte nicht glaubhaft gemacht habe, dass die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich gewesen sei. Eine ausreichende Glaubhaftmachung, dass eine elektronische Übermittlung unter Einhaltung der gesetzlichen Erfordernisse vorübergehend unmöglich war, sei weder mit der schriftlichen Ersatzeinreichung noch unverzüglich danach erfolgt. Nach der Intention des Gesetzgebers soll die Glaubhaftmachung möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen. Jedoch seien Situationen denkbar, bei denen bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen. In diesem Fall ist die Glaubhaftmachung unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nachzuholen. Die Glaubhaftmachung erfordert, dass der Anwalt die Richtigkeit seiner Angaben unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichert. Unverzüglich – und somit ohne schuldhaftes Zögern – ist die Glaubhaftmachung nur dann, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt. Nach Ablauf einer Zeitspanne von mehr als einer Woche ist – ohne Vorliegen besonderer Umstände – grds. keine Unverzüglichkeit mehr gegeben. Die in Anspruch genommenen dreieinhalb Wochen überschreiten die zulässige Frist.
Praxistipp:
Erstellen Sie einen Leitfaden zum Umgang mit beA. Achten Sie darauf, dass bei ggf. notwendigen Ersatzeinreichungen die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit unmittelbar mit der Ersatzeinreichung, spätestens jedoch innerhalb einer Wochenfrist, erfolgt. In jedem Fall muss der Anwalt die Richtigkeit seiner Angaben anwaltlich versichern.
2. Kein Verbot von Umlauten in per beA eingereichten Dokumenten
(BGH, Beschl. v. 8.3.2022 – VI ZB 25/20) • Zum Eingang eines über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereichten elektronischen Dokuments (hier: Berufungsbegründung) bei Gericht (§ 130a Abs. 5 ZPO). Hinweis: Umlaute sind nach dieser Entscheidung nicht verboten. Ein Dateiname enthielt 2019 ein „Ü”, obwohl die Justiz Umlaute damals nicht verarbeiten konnte. Der BGH bejaht auch in diesem Altfall den wirksamen Zugang.
ZAP EN-Nr. 368/2022
Anmerkung: Umlaute in Dateinamen sorgen immer wieder für Probleme. Zwar sind bislang alle bekannten Fälle trotz Umlauten wirksam eingereicht worden, dennoch ist die Internetwelt auf Umlaute nicht eingestellt. So wandelt das Internet das Wort „Störungsdokumentation” um in „St%C3 %B6rungsdokumentation”. Wer Umlaute vermeidet, ist auf der sicheren Seite.
3. Aktive Nutzungspflicht für Syndikusrechtsanwälte
(LAG Hamm, Beschl. v. 27.9.2022 – 10 Sa 229/22) • Syndikusrechtsanwälte, die für einen als Prozessvertreter der Partei bevollmächtigten Verband nach außen hin erkennbar im Rechtsverkehr als Syndikusrechtsanwälte auftreten, haben bei Ausübung dieser Tätigkeit die Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs gem. § 46g ArbGG durch Einsatz des für sie in dieser Eigenschaft persönlich eingerichteten beA. Syndikusrechtsanwälte stellen die einen Schriftsatz zu verantwortende Person i.S.d. § 46c Abs. 3 S. 1 Var. 2 ArbGG dar. Unerheblich ist hierbei, dass Prozessvertreter der Partei der Verband ist, bei dem Erstere angestellt sind. Die Einrichtung eines separaten beA als sicheren Übermittlungswegs durch den Gesetzgeber wäre überflüssig, sofern Syndikusrechtsanwälte für die einzige Tätigke...